Bleibende interaktive Erinnerung
Technikmuseum startet digitales Zeitzeugen-Projekt
Anita Lasker-Wallfisch scheint präsent zu sein. Manchmal nickt sie, lächelt, bewegt sich. Es hat den Eindruck, als wäre sie per Skype zugeschaltet.
Was nicht der Fall ist. Vielmehr sind ihre Reaktionen Bestandteil eines langen Interviews, das die Shoah-Foundation mit der Holocaust-Überlebenden und bekannten Cellistin geführt hat. Und die per Bildschirmausschnitte in einem Raum im Deutschen Technikmuseum gezeigt werden.
An diesem Ort deshalb, weil im Technikmuseum am 18. Februar die sogenannte Beta-Testhase des digitalen Zeitzeugenprojekts der Shoah-Foundation gestartet ist. In dessen Rahmen werden die Erinnerungen an Menschen wie Anita Lasker-Wallfisch durch lange Bild-Ton-Gespräche erhalten. In diesem Fall handelte es sich außerdem um eine Premiere. Zum ersten Mal fand ein solches Gespräch in deutscher Sprache statt.
Rund 1000 Fragen hat Anita Lasker-Wallfisch beantwortet. Sie befinden sich jetzt in einer Datenbank, die künftig von allen Interessierten abgerufen werden kann. Sie können jede Frage stellen und sollen darauf die jeweils passende Replik bekommen. Neben dem System kontrollieren auch Mitarbeiter, ob das entsprechend funktioniert. Während der Beta-Testphase soll das Angebot weiter verfeinert, nicht zuletzt um zusätzliche Fragen erweitert werden. Das passiert bis Mitte Juni und zwar mit Schulklassen.
Wissen um Verbrechen bewahren
Gerade Jugendliche sind eine wichtige Zielgruppe bei diesem besonderen Zugang zur Erinnerungskultur. Zum einen, weil sie durch digitale Angebote besonders angesprochen werden können. Zum anderen ist zumindest zu vermuten, dass sie noch andere, vielleicht bisher nicht gestellte Fragen interessieren. Außerdem soll das Wissen um die millionenfachen Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus bei den jetzt Heranwachsenden nicht verloren gehen.
Nicht zuletzt mit dem Zugang gerade zur jüngeren Generation begründet das Deutsche Technikmuseum, warum es sich als Standort für diese "Dimensions in Testimony"-Initiative beworben hatte. Natürlich wäre es naheliegend, zunächst in den technischen Möglichkeiten das Interesse ihres Hauses zu sehen, meinten Chef Professor Dirk Böndel und sein Stellvertreter Professor Joseph Hoppe. Das habe aber nicht die dominierende Rolle gespielt. Entscheidender sei gewesen, dass im Museum schon lange Technikgeschichte nicht abgetrennt von der politischen Geschichte betrachtet werde. Das gelte gerade auch für die Zeit des Nationalsozialismus. Ein ausgestellter Eisenbahnwaggon, der für den Transport in die Vernichtungslager benutzt wurde, ist dafür ein Beispiel.
Ganz entscheidend seien aber die vielen jungen Besucher gewesen, die, ob privat oder per Schulexkursion, in das Technikmuseum kommen, weshalb hier ein Anknüpfungspunkt besteht. Das Beschäftigen mit dem Zeitzeugen-Projekt lasse deshalb auf interessante Reaktionen schließen, meinte Joseph Hoppe. Wobei nicht auszuschließen sei, dass manche wiederum zu einer klaren Gegenreaktion herausfordern.
Argumente, die auch von Karen Jungblut von der Shoah-Foundation unterstützt wurden. Ein rein historisches Museum stehe häufig für eine Art Exklusivität und damit für Barrieren. Anders als im Technikmuseum, in das nicht nur besonders Geschichtsinteressierte kommen.
Wettlauf mit der Zeit
Auch Marianna Matzer, Teamleiterin der Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" sah das ähnlich. Ihre Institution ist die dritte Beteiligte an diesem Projekt, vor allem als Geldgeber. Eine konkrete Zahl wollte sie in diesem Zusammenhang nicht nennen, umschrieb die Finanzierung aber als "sechsstellig".
Am Ende der Präsentation gab es auch einen Test vor dem Test, also eine interaktive Kommunikation mit Anita Lasker-Wallfisch. Wie bei fast jedem Vorführeffekt klappte das zunächst nicht, es brauchte einen Neustart. Die meisten Fragen lieferten danach aber die dazu passenden Antworten. Ob zum Elternhaus von Anita Lasker-Wallfisch, ihren Erlebnissen während der Nazizeit, der Deportation nach Auschwitz, zur Befreiung in Bergen-Belsen, ihrem Leben in Großbritannien, ihrer Familie, zur späten Wiederannäherung an ihr Heimatland. Viel wird dadurch auch über ihre Persönlichkeit transportiert. Sie ist resolut, schlagfertig, manchmal auch witzig und ironisch.
Anita Lasker-Wallfisch ist 1925 geboren, wird im Juli 95 Jahre alt. Das Aufzeichnen solcher Erinnerungen bedeutet bei immer weniger Holocaust-Überlebenden einen Wettlauf mit der Zeit. Sie werden bald nicht mehr persönlich befragt werden können. Sprechen dann aber weiter digital zu uns.
Schulklassen, die bei der Beta-Testphase mitmachen wollen, können sich dafür beim Technikmuseum anmelden, bei Dr. Frank Steinbeck, Trelefon: 90 25 41 43, E-Mail: steinbeck@technikmuseum-berlin.de. Gewünscht sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Schularten.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.