Grüße vom Onkel
Wilhelm Leuschner und die Eisenbahnstraße als Hort der Widerstandes

Der Leuschnerdamm hieß zuvor Elisabethufer und ab 1937 nach einem getöteten Nazi Schröderdamm. | Foto: Thomas Frey
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  • Der Leuschnerdamm hieß zuvor Elisabethufer und ab 1937 nach einem getöteten Nazi Schröderdamm.
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Die Gedenktafel vor dem Haus Eisenbahnstraße 5 fällt vielen Passanten nicht auf. Dabei befindet sie sich ziemlich markant auf dem Gehweg.

Sie erinnert an Wilhelm Leuschner. Ebenso wie eine Stele am Luisenstädtischen Kanal, genauer am Leuschnerdamm. Es gibt in Kreuzberg einige Anknüpfungspunkte an Wilhelm Leuschner. Trotzdem ist der Mann eher weniger bekannt. Auch wenn sein Name in den vergangenen Wochen etwas häufiger Erwähnung fand.

Das passierte im Zusammenhang mit dem Gedenken an den 75. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Wilhelm Leuschner sollte nach einem erfolgreichen Umsturz eine wichtige Rolle spielen. Er war als Minister, Vizekanzler, sogar als künftiges Staatsoberhaupt vorgesehen. Dazu ist es nicht gekommen. Stattdessen wurde Wilhelm Leuschner, "Fabrikant aus Berlin", am 16. August 1944 verhaftet, am 8. September zum Tod verurteilt und genau drei Wochen später in Plötzensee hingerichtet.

Die genannte Berufsbezeichnung stimmt für seine letzten acht Lebensjahre. Dass er Unternehmer wurde, war der Zeit und seiner Situation geschuldet. Seine Fabrik war gleichzeitig Tarnung und ein Treffpunkt des Widerstandes. Sie befand sich in der Eisenbahnstraße 5.

Geboren wurde Wilhelm Leuschner 1890 in Bayreuth. Er lernte Holzbildhauer und arbeitete ab 1911 in Darmstadt bei einer Möbelfirma. Parallel dazu war er als Gewerkschafter im dortigen Bezirk des Bildhauerverbandes tätig. 1913 trat Wilhelm Leuschner in die SPD ein.

Von der Westfront ins Innenministerium

Nach dem Ersten Weltkrieg, den er als Soldat an der Westfront überlebte, begann die politische Karriere. Zunächst 1919 als Stadtverordneter in Darmstadt, fünf Jahre später folgte die Wahl in den hessischen Landtag. 1928 wurde er Innenminister des "Volksstaates Hessen".

In seine Amtszeit fallen die zunehmenden Auseinandersetzungen mit der aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung. Leuschner machte klar, dass er deren Aktivitäten konsequent verfolgen werde. Allerdings wurde er dabei immer wieder von milde urteilenden Richtern ausgebremst. Etwa bei den sogenannten "Boxheimer Dokumenten". Dem Innenminister waren 1931 Papiere einer Versammlung von NS-Landesgrößen zugespielt worden, die beschrieben, was nach einer "Machtergreifung" mit politischen Gegnern passieren wird. Vor dem Reichsgericht wurden die Verfahren im Oktober 1932 wegen "Mangels an Beweisen" eingestellt. Für Leuschner hatte es vor allem eine Konsequenz. Er war zu einem der Hauptfeinde der Nationalsozialisten geworden.

Das zeigte sich sehr schnell, als sie kurz darauf an die Macht kamen. Er wurde im Frühjahr 1933 verhaftet und mehr als ein Jahr lang in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten. Nach seiner Freilassung zog die Familie nach Berlin. Seiner beruflichen Existenz beraubt, übernahm Wilhelm Leuschner eine Firma an der Eisenbahnstraße, die Bierzapfhähne produzierte und vertrieb.

Kriegswichtige Fabrik

In dieser Branche hatte er bisher keinerlei Erfahrungen. Sie interessierte ihn aber aus mehreren Gründen, die mit seinen Widerstandsaktivitäten zusammenhingen.

Um seine Zapfhähne zu verkaufen, waren Reisen durch das Deutsche Reich nötig. Adressaten seiner Angebote waren nicht zuletzt einstige SPD-Parteilokale. Dadurch ließen sich alte Kontakte wieder auffrischen und neue knüpfen. Ebenso musste Wilhelm Leuschner zwecks Ordern von Rohmaterial verschiedene Metallbetriebe aufsuchen. Auch da ergaben sich Verbindungen. Die reichten sogar bis in Kreise der Wehrmacht. Was auch dazu führte, dass seine Fabrik 1939 als "kriegswichtig" eingestuft wurde. Und schließlich beschäftigte er in der Firma weitere NS-Gegner. Andere hielten sich dort häufig auf.

Die Eisenbahnstraße 5 wurde so zu einem wichtigen Hort der Opposition. Was dort im einzelnen besprochen wurde, wie Leuschners Netzwerk aufgebaut war, darüber gibt es nur wenige Informationen. Er hat, im Gegensatz zu anderen Widerstandskämpfern, kaum Schriftliches hinterlassen. Er fürchtete, die Dokumente könnten in falsche Hände geraten und die Konspiration dadurch auffliegen. Auch wenn er persönlich oder durch andere Nachrichten übermittelte, passierte das meist mündlich und in Form von Decknamen oder Umschreibungen. "Grüße vom Onkel" war dabei ein Code für Eingeweihte.

"Schafft die Einheit"

Bekannt ist sein Eintreten für einen Zusammenschluss aller demokratischen Kräfte als Resultat der Erfahrungen vor 1933. Speziell für eine starke Gewerkschaftsbewegung. "Schafft die Einheit", soll er noch kurz vor seinem Tod geäußert haben. Aus diesem Motiv heraus hatte er auch Kontakt mit verschiedenen Personen und Gruppen des Widerstandes. Leuschner galt als wichtiger Repräsentant der Arbeiterbewegung, der in einer Regierung nach Hitler vertreten sein müsse. Sein Name stand deshalb, meist wohl ohne sein Wissen, auf mehreren kursierenden Kabinettslisten, die ihn für wichtige Funktionen vorsahen. Auch dadurch rückte er nach dem 20. Juli ins Fadenkreuz der Gestapo.

Wilhelm Leuschner wusste, dass ein Attentat auf Hitler geplant war, kannte aber nicht den genauen Zeitpunkt. Als es stattfand und scheiterte, sah er für sich und seinen Kreis zunächst keine unmittelbare Gefahr. Das war ein Trugschluss. Am 16. August wurde Wilhelm Leuschner verhaftet, nachdem er zuvor noch versucht hatte, unterzutauchen. Nach einem Schnellverfahren vor dem sogenannten „Volksgerichtshof“ wurde das Todesurteil am 29. September 1944 in Plötzensee vollstreckt.

Nicht zuletzt Freunde und Weggefährten, die den Naziterror überlebt hatten, sorgten dafür, das sein Name unmittelbar nach Kriegsende nicht in Vergessenheit geriet. Bereits 1947 wurde die Straße an der Ostseite des Luisenstädtischen Kanals zwischen Oranienplatz und Engeldamm in Leuschnerdamm umbenannt. Auch eine Gedenkbüste befindet sich dort.

An der Eisenbahnstraße gab es eine ähnliche Erinnerung erst 1986. Und auch nicht direkt am Haus, weil der Besitzer das damals untersagte.

Deshalb steht die Stele auf dem Gehweg. Als Stein des Anstoßes. Und das bezieht sich nicht darauf, dass manchmal unachtsame Fußgänger dagegen laufen.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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