"Bei uns haben die Kids das Sagen"
Kinderzentrum "Ottokar" wird 32 Jahre alt

Sigrid Völker gründete die Elterniniative in der Wendezeit mit. Damals war sie Anfang 30, heute leitet sie das Kinderzentrum.  | Foto:  Kiefert
5Bilder
  • Sigrid Völker gründete die Elterniniative in der Wendezeit mit. Damals war sie Anfang 30, heute leitet sie das Kinderzentrum.
  • Foto: Kiefert
  • hochgeladen von Ulrike Kiefert

Im „Ottokar“ haben Kinder das Sagen. Seit 32 Jahren ist das so. Damals gründeten Eltern den Verein. Sigrid Völker ist bis heute dabei, als Vereinsgeschäftsführerin und Leiterin des Kinderzentrums „Ottokar“.

Die Erwachsenenzone endet an der Glastür. Nur Kinder und Jugendliche dürfen rein. So steht es am Eingang zum Kinderzentrum „Ottokar“. Sigrid Völker achtet streng darauf. „Denn bei uns haben die Kids das Sagen.“ Das war schon immer so. Was drinnen passiert, ist reine Kindersache.

Backen und kochen, forschen und entdecken, spielen und basteln, tanzen und feiern, im Garten toben, Kaninchen streicheln. Das Kinderzentrum hat alles, was Kindern Spaß macht. In einem geschützten Raum, in dem sie von Erwachsenen nicht gemaßregelt werden. Das ist das Grundkonzept. „Kinder sollen sich frei entfalten“, sagt Sigrid Völker. „Selbstbestimmt entscheiden, was sie machen wollen und wie sie sich ihr Leben vorstellen.“

Orientierung an
UN-Kinderrechtskonvention

Die pädagogische Leiterin des Hauses weiß, wovon sie spricht. Völker ist seit mehr als 30 Jahren dabei. Sie liebt Kinder, hat selbst zwei großgezogen und saß 25 Jahre als Bürgerdeputierte im Jugendhilfeausschuss der Bezirksverordnetenversammlung, um die Interessen von Kindern zu vertreten. „Kinder haben Rechte, auf gewaltfreie Erziehung, auf Mutter und Vater, auf Spielen und Freizeit, ja selbst auf das Briefgeheimnis.“ Im „Ottokar“ läuft gerade ein Projekt dazu. Denn auch das gehört zum Konzept. „Wir orientieren uns bei unserer Arbeit an der UN-Kinderrechtskonvention“, so Sigrid Völker. „Wir“, das sind die sieben Mitarbeiter, darunter drei Azubis, und die vielen Ehrenamtlichen, die das Kinderzentrum am Laufen halten. So viele helfende Hände braucht es, weil das Kinderzentrum jeden Tag geöffnet hat, selbst in den Ferien, außer Weihnachten. Und weil hier noch so viel mehr passiert. Die rund 160 Stammkinder können im „Ottokar“ ihre Hausaufgaben erledigen, bei Umweltprojekten mitmachen, auf „Europareise“ gehen, in der Holzwerkstatt werkeln, Tischtennis spielen, den Werkstattführerschein machen, im hauseigenen Mädchenzentrum "Bärbel Patzig" unter sich sein, für einen Euro Mittag essen und in die Kummersprechstunde gehen.

Kreativ im "Ottokar". Hier sind alle willkommen.  | Foto: Foto: privat
  • Kreativ im "Ottokar". Hier sind alle willkommen.
  • Foto: Foto: privat
  • hochgeladen von Ulrike Kiefert

Denn auch Kinder haben Sorgen. Wenn sie verliebt sind, zum Beispiel. Oder die Freundin plötzlich keine Freundin mehr ist. Andere haben Stress in der Schule oder im Elternhaus. Vor allem, wenn der Leistungsdruck zu groß ist. „Wir helfen dabei, solche Probleme zu lösen“, sagt Sigrid Völker. In Gesprächen, auch mit den Eltern. Was nicht immer einfach ist, denn der Kiez rund um die Schmidstraße ist international. Manche Eltern sprechen kaum Deutsch, nur Englisch, Spanisch, Arabisch, Türkisch, Russisch oder Vietnamesisch. Im „Ottokar“ allerdings wird nur Deutsch gesprochen. „Darauf haben sich alle Kinder geeinigt.“

Für den Zusammenhalt gehen die Kids auch auf Abenteuerreisen oder machen Ausflüge. Und jeden Sommer fahren alle an den Balaton. Das hat Tradition seit den 1990er-Jahren. Ehrenamtliche nehmen dafür extra ihren Jahresurlaub. Damit die Ferienreise finanzierbar bleibt. Denn Eltern zahlen im Kinderzentrum keine Beiträge, nur das Mittagessen und ein bisschen Reisegeld.

Eltern gründeten Initiative

Dass das Usus ist, hat mit der Geschichte zu tun. Anfang 1990 gründeten Eltern die Initiative „Für unsere Kinder“. Die Mütter und Väter kompensierten mit ihrem ehrenamtlichen Engagement die vielen gratis Freizeitangebote für Kinder, die mit der Wende in Ost-Berlin wegfielen. Und so wurde anfangs in Privatwohnungen gebastelt und gespielt, gemeinsam gekocht und gebacken und in den Herbstferien das erste Mal wieder ins Ferienlager gefahren. Mit der Zeit kamen immer mehr Mädchen und Jungen. Ihre Eltern waren auf die Aushänge im Kiez aufmerksam geworden. Gestartet mit 30 Kids waren es im Februar 1991 bereits 140 Kinder – und die Wohnungen reichten nicht mehr aus. „Wir fanden dann im Haus am Köllnischen Park Hilfe“, erzählt Sigrid Völker. Die Geschäftsführung stellte dem Verein kostenlos Räume bereit, im Gegenzug übernahmen die Eltern die Kinderbetreuung bei Veranstaltungen.

Das "Ottokar" an der Schmidstraße hat eine bewegte Geschichte hinter sich.  | Foto: Ulrike Kiefert
  • Das "Ottokar" an der Schmidstraße hat eine bewegte Geschichte hinter sich.
  • Foto: Ulrike Kiefert
  • hochgeladen von Ulrike Kiefert

Doch die Nachfrage nach den Freizeitangeboten stieg beharrlich. „Deshalb wollten wir ein dauerhaftes Angebot schaffen.“ Die Eltern erarbeiteten ein Konzept für eine feste Einrichtung und gründeten den Kinderverein „Ottokar“, um Fördermittel zu bekommen. Am 1. September 1991 eröffnete dann das Kinderzentrum „Ottokar“ im Haus am Köllnischen Park seine Türen, gefördert vom Arbeitsamt. Nach zwei Jahren wurden dem Verein dann allerdings die Mittel gekürzt, das Vormittagsangebot fiel weg und das „Ottokar“ wurde zum Treffpunkt vor allem der Grundschüler. Mit dem Wechsel der Geschäftsführung im Haus am Köllnischen Park endete 1995 die Zusammenarbeit. Kinder passten nicht mehr ins Konzept des Hauses und der Verein suchte nach neuen Räumen. Die fand er schließlich in einem Hinterhof am Engeldamm. Die Eltern renovierten selbst, bauten die gesamte Etage um und investierten am Ende 125 000 DM aus eigener Tasche. Weil dann auch die Förderung vom Arbeitsamt auslief, ließ sich der Verein als Freier Träger der Jugendhilfe anerkennen und bekam fortan Mittel vom Bezirksamt Mitte.

Überlebt aus eigener Kraft

Kämpfen musste der Verein trotzdem immer wieder. Die Bezirkskasse war ständig leer, Geld wurde gekürzt oder gestrichen. Um „ihr Ottokar“ zu retten, organisierten Eltern, Kinder und Ehrenamtliche die Kampagne „Quadratmeterpaten gesucht“. Am Ende gelang es, für die 200 Quadratmeter genügend Paten zu finden, um die Miete für die nächsten zwei Jahre bezahlen zu können. Im Januar 2002 ging das Gebäude am Engeldamm jedoch an den Alteigentümer zurück und das „Ottokar“ musste erneut umziehen – diesmal in eine frühere Kita in der Schmidstraße 13. Dort blieb das Kinderzentrum aber nur vier Jahre. Seit 2006 ist es nun in der Schmidstraße 8 zuhause. Saniert haben die Eltern dort alles wieder in Eigenregie. Den großen Garten gestalteten die Kinder.

Hausordnung im "Ottokar".  | Foto: Ulrike Kiefert
  • Hausordnung im "Ottokar".
  • Foto: Ulrike Kiefert
  • hochgeladen von Ulrike Kiefert

Sigrid Völker ist stolz auf das, was alle erreicht haben. „Wir sind der einzige kleinere Verein in Mitte, der die Wende bis heute überlebt hat.“ Und das aus eigener Kraft, ganz ohne Dachverband. Sogar die U18-Wahlen hat der Verein mitbegründet, weshalb das Kinderzentrum regelmäßig zum Wahllokal und die Kids zu Wahlhelfer werden. Im Verein engagieren sich heute auch ehemalige „Ottokare“, was Sigrid Völker besonders freut. Viele aus sogenannten bildungsfernen Familien haben ihren Weg gefunden, studieren jetzt oder machen es wie „Ottokar, der Weltverbesserer“.

Mit ihren 66 Jahren könnte Sigrid Völker eigentlich die Hände in den Schoß legen. Doch sie kann nicht aufhören zu helfen, das liegt ihr im Blut. Und sie will nicht verpassen, wie die Kinder im „Ottokar“ zu tollen Persönlichkeiten heranwachsen. Ohne, dass ihre Eltern teure Musikschulen oder Nachhilfestunden bezahlen müssen.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

49 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 578× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 595× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 568× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 416× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 593× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 894× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.