Zwischen Wut und Scham : Der Verein "Pflege in Not" hilft, wenn Menschen sich mit der Betreuung überfordert fühlen

Die Beratungsstelle von "Pflege in Not" hat an der Bergmannstraße 44 in Kreuzberg ihren Sitz. | Foto: Eric Gutglück
2Bilder
  • Die Beratungsstelle von "Pflege in Not" hat an der Bergmannstraße 44 in Kreuzberg ihren Sitz.
  • Foto: Eric Gutglück
  • hochgeladen von Helmut Herold

Seit 19 Jahren hilft die Beratungsstelle "Pflege in Not" Menschen, die sich mit der Betreuung eines Angehörigen überfordert fühlen.

Von außen wirkt das kleine rote Backsteingebäude in der Bergmannstraße 44 in Kreuzberg recht unscheinbar. Drinnen finden jedoch diejenigen Hilfe, die einen Angehörigen pflegen und dabei an die Grenze ihrer Belastbarkeit stoßen.

Was vor 19 Jahren als Ein-Personen-Projekt begann, hat sich zu einem echten Vorreiter entwickelt. Mittlerweile gibt es bundesweit zehn solcher Beratungsstellen. „Als ich die ‚Pflege in Not‘ 1999 gegründet habe, war die Skepsis vieler groß. Gewalt gegen alte Menschen – so was sei gar kein Thema“, sagt Gabriele Tammen-Parr, Diplom-Sozialpädagogin und Leiterin der Einrichtung. Und fügt hinzu: „Mittlerweile sind wir nicht mehr wegzudenken.“ Etwa 150 Menschen wenden sich mittlerweile jeden Monat an die diakonische Beratungsstelle, rund zwei Drittel davon bitten regelmäßig um Rat.

Neben Aggressionen treten häufig Schuldgefühle zutage, die Pflege eines geliebten Menschen abgegeben zu haben. Die „Pflege in Not“ berät Angehörige und Pflegekräfte, wie diese mit ihren Emotionen umgehen sollten. Das heute sechsköpfige Team besteht aus Sozialarbeitern, Krankenpflegern sowie einer Psychologin und bietet kostenlos telefonische und psychologische Beratungen sowie Familiengespräche an. Das familiäre Konfliktpotenzial liegt oft in emotionaler oder finanzieller Bevorzugung einzelner Kinder oder in der Rollenverteilung innerhalb der Partnerschaft begründet.

„Solche Dinge können auch nach 30, 40 Jahren wieder auf den Tisch kommen“, sagt Gabriele Tammen-Parr. Häufig seien es Frauen, welche die Pflege ihrer Männer oder der Eltern übernehmen. Etwa drei Viertel aller Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut, die durchschnittliche Pflegedauer beträgt zehn Jahre. „Bei diesem riesigen Zeitfenster ist es klar, dass man als Pfleger irgendwann an seine Grenzen stößt. Eine permanente Aggression, die sich wie ein roter Faden durch den Tag zieht, kann ein erstes Anzeichen einer Überforderung sein“, sagt Gabriele Tammen-Parr. Rund 80 Prozent der pflegenden Angehörigen in Deutschland fühlen sich nach eigenen Angaben schwer oder extrem belastet. Anschreien, Beleidigungen oder gar körperliche Gewalt gegenüber dem Gepflegten seien daher keine Seltenheit.

Die Einrichtung „Pflege in Not“ bietet Betroffenen die Gelegenheit, abseits der Familie mit fachkundigen Dritten offen und anonym über ihre Situation zu sprechen. Für viele ist dies die einzige Möglichkeit, ihre Sorgen und Probleme kundzutun. Zuhören und den Kern der Probleme ausmachen sind zentrale Kompetenzen in der Pflegeberatung. Dabei ist die Unparteilichkeit für die Konfliktlösung besonders wichtig. Vor allem, wenn im Extremfall Angehörige auch Gewaltphantasien äußern. „Uns geht es nie um Schuldzuweisungen, sondern immer um Unterstützung“, betont Gabriele Tammen-Parr.

Kontakt zur Beratungsstelle "Pflege in Not" gibt es unter 69 59 89 89. Sprechzeiten des Beratungstelefons: Montag, Mittwoch, Freitag 10-12 Uhr, Dienstag 14-16 Uhr.

Mehr Informationen zum Projekt auf www.pflege-in-not.de.
Die Beratungsstelle von "Pflege in Not" hat an der Bergmannstraße 44 in Kreuzberg ihren Sitz. | Foto: Eric Gutglück
Gabriele Tammen-Parr leitet seit 19 Jahren die Beratungsstelle von "Pflege in Not". | Foto: privat
Autor:

Eric Gutglück aus Mahlsdorf

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 91× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 105× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.455× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.