DDR-Paradestrecke wird grüne Vorzeigemeile
Über den Mittelstreifen auf der Karl-Marx-Allee wird nicht abgestimmt

Voller Kinosaal beim Bürgerdialog zur Karl-Marx-Allee. | Foto: Dirk Jericho
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Großes Kino für eine Straßensanierung. Rund 500 Anwohner waren zum „Bürgerdialog“ ins Kino International gekommen. Grünen-Verkehrssenatorin Regine Günther stellte die umstrittenen Umplanungen für den zehn Meter breiten Mittelstreifen zur Grünfläche vor.

Die Karl-Marx-Allee wird zwischen Strausberger Platz und Alex grüner. Dass die 160 Parkplätze auf dem Mittelstreifen trotz bisher anders lautender Planungen komplett entfallen, steht fest. Die Kulturverwaltung und die Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz arbeiten nur noch an Detaillösungen. Das geht aus den Erläuterungen beim Anwohnerdialog zum KMA-Umbau hervor. Einig ist man sich darüber, dass ein begrünter Mittelstreifen wichtig ist fürs innerstädtische Mikroklima, als Versickerungsfläche, CO₂-Schwamm und für mehr Verkehrssicherheit sorgt.

Wie berichtet, hatte Günthers Planungsänderung beim laufenden Straßenumbau Ende 2019 für Ärger unter den Anwohnern und Streit unter den Senatoren gesorgt. Die Grünen-Politikerin begründet die Änderungen hin zum Grünstreifen mit dem Mobilitätsgesetz und den Klimaveränderungen. Die vergangenen Hitzesommer hätten gezeigt, wie wichtig es sei, auf den Klimawandel zu reagieren. „Alle Städte weltweit rüsten sich, wir sind noch zu langsam, ich bin besorgt“, appellierte Günther bei der Bürgerversammlung an die Anwohner. Dafür gab es Applaus für die Senatorin. Wie sich im Kino International zeigte, sind viele Bürger mit Günthers Klimakurs einverstanden. Widerstand gegen die Streichung der 160 Parkplätze gab es kaum. Die Leute waren vor allem darüber verärgert, dass die Umplanungen über ihren Köpfen hinweg entschieden und sie nicht beteiligt wurden. Das wies Günther zurück; sie habe Ende vergangenen Jahres die Anwohner über die notwendigen Umplanungen informieren wollen. Doch die Presse habe drei Tage vorher berichtet.

Politik entscheidet

Ein Anwohner forderte eine Abstimmung über die Gestaltung des Mittelstreifens. „Wir stimmen nicht ab, letztlich entscheiden wir“, stellte die Senatorin klar. Auch 2015, als die Senatsbauverwaltung bereits einen Grünstreifen statt Parkplätze auf der Karl-Marx-Allee wollte, hätte es keine Abstimmung gegeben, wie immer behauptet wird. „Es gab wie heute Bürger, die für Parkplätze waren und Bürger für Grünflächen“, so Günther. Entschieden hat die Politik. Bausenator war damals Michael Müller (SPD). Seine Verwaltung hatte nach Anwohnerprotesten auf Grün verzichtet und war seinerzeit dem Wunsch der Anwohner gefolgt, den Mittelstreifen weiterhin als Parkplatzfläche zu erhalten.

Dass jetzt 160 Parkplätze wegfallen, „fällt nicht ins Gewicht“, so Regine Günther. Das Gebiet im Bereich Karl-Marx-Allee zweiter Bauabschnitt sei wie kaum ein anderes überdurchschnittlich mit Parkplätzen ausgestattet. Laut Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) kommen dort sieben Parkplätze auf zehn Wohnungen. Zum Vergleich: Beim geplanten Neubauquartier auf dem Tegeler Flugfeld werde drei Stellplätze pro zehn Wohnungen geplant.

Auch Verkehrs- und Umweltexperten betonten beim Bürgerdialog die Notwendigkeit und positiven Effekte eines grünen Mittelstreifens. Hitzesommer wie 2018 und 2019 würden in der Zukunft normal sein, sagte Landschaftsarchitekt Carlo W. Becker. „Wir müssen die Chancen zum Umbau jetzt nutzen und kleine Opfer bringen, um die Herausforderungen der Klimaanpassung anzunehmen“, so der Architekt. 

Problem Denkmalschutz

Günthers Vorstoß für eine grüne Karl-Marx-Allee hatte auch den für das Landesdenkmalamt zuständigen Kultursenator Klaus Lederer vom Koalitionspartner Die Linke auf die Palme gebracht. Denn die Karl-Marx-Allee ist Teil des Denkmalensembles „Karl-Marx-Allee zweiter Bauabschnitt“, für das ein Antrag auf Aufnahme in die Unesco-Welterbeliste läuft. Ein Grünstreifen verändert das Gesamtbild der Magistrale und könnte aus Denkmalschutzgründen zu Problemen bei der Weltkulturerbe-Bewerbung führen, so die Befürchtung.

Auf der 80 Meter breiten Paradestrecke aus Beton fanden zu DDR-Zeiten FDJ-Aufmärsche und Militärparaden der NVA statt. Die KMA ist ein Beispiel für die Machtdemonstration der DDR und politischer Raum, den Landeskonservator Christoph Rauhut erhalten will. Die Denkmalschützer basteln an Lösungen „für diesen schwierigen Fall“, um Klimaschutz und Denkmalschutz unter einen Hut zu bringen. Um die Welterbefähigkeit zu erhalten, soll der Grünstreifen in bestimmten Bereichen unterbrochen werden und zum Beispiel zwischen Kino International und Schillingstraße ein steinerner Platz entstehen. An den Details der Gestaltung der Grün- und Platzflächen wird derzeit gearbeitet. Rauhut sprach von einem „Rasen mit besonderem ökologischen Anteil“.

Damit die neue Grünfläche oder Blumenwiese auf der Karl-Marx-Allee nicht aussieht wie die mongolische Steppe, wie eine Anwohnerin befürchtet, forderte Gothe eine „auskömmliche Finanzierung“. Der Grünstreifen dürfe nicht nur als Straßenbegleitgrün mit geringerer Pflegestufe deklariert werden. Senatorin Günther sagte, dass es auch schon Interesse von Initiativen für die Gestaltung des grünen Mittelsreifens gibt. Die Vorstellungen der Anwohner spielen für sie „einen große Rolle“.

Die Karl-Marx-Allee wird seit Mitte 2018 zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz komplett neu gestaltet. Radfahrer bekommen bis zu vier Meter breite Fahrstreifen auf beiden Seiten, grün markiert und mit einem eineinhalb Meter breiten Sicherheitsstreifen von den Längsparkspuren daneben sicher abgetrennt. Dafür wird es zukünftig statt drei Fahrspuren nur noch zwei pro Richtung geben. Die Gesamtkosten liegen bei 13,2 Millionen Euro. Im Sommer soll alles inklusive Grünstreifen fertig sein.

Alle Informationen unter https://bwurl.de/14rk.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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