Mit dem Historiker Stefan Zollhauser auf unterhaltsamer Gaunertour durch Moabit

Das Untersuchungsgefängnis Moabit darf auf einer Gaunertour nicht fehlen. | Foto: KEN
4Bilder
  • Das Untersuchungsgefängnis Moabit darf auf einer Gaunertour nicht fehlen.
  • Foto: KEN
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Moabit. Stefan Zollhauser bietet historische Stadtführungen an. Eine führt zu den Gaunern in Moabit.

Man trifft sich vor dem „neuen“ Kriminalgericht an der Turmstraße, 1902 bis 1906 errichtet; eine „Wilhelminische Einschüchterungsarchitektur“, wie Stadtführer Stefan Zollhauser meint. Gemeinsam mit zwei Kollegen bietet der Historiker und Medienpädagoge unter dem Motto „Berliner Spurensuche“ historische Stadtrundgänge in Berlin an. Die „Gaunertour durch Moabit“ ist eine Erkundung bekannter und unbekannter Kriminalfälle und des Wandels von Strafverfolgung und Strafvollzug in den vergangenen 150 Jahren. Ausgewählte Orte sind die Kulisse für die Geschichten über Schlitzohren und Spitzbuben.

Vor dem Portal des Kriminalgerichts zeichnet Stefan Zollhauser ein Bild des früheren Moabit: viel Ackerland mit einem Zellengefängnis, einem Exerzierplatz, wo heute der Fritz-Schloß-Park ist, und vielen Pulvermühlen. Dann kehrt der Stadtführer nochmal zurück zum Gerichtsgebäude mit den 21 Sälen, seinem monumentalen Treppenhaus und dem Gewirr seiner langen Flure und unterirdischen Gänge. Um der ersten Gerichtsverhandlung im Großen Schwurgerichtssaal des Kriminalgerichts überhaupt beizuwohnen, standen die Menschen Schlange. Der Münchner „Simplicissimus“ hatte sogar eine Sondernummer gedruckt.

Verhandelt wurde der literarisch gewordene Fall des Schusters Voigt, der in einer geliehenen Hauptmannsuniform das Rathaus von Köpenick besetzt hatte. Vier Jahre bekam er aufgebrummt. Nach zwei Jahren begnadigt, machte kleine Karriere im Zirkus, bevor seine Geschichte zum „Medienhype“ wurde. Voigt starb in den 20er-Jahren in Luxemburg.

Die Gaunertour ist eine Erlebnistour. Sie lebt von Anekdoten und abgründigen Fakten, die Stefan Zollhauser in Archiven ausgegraben hat. Gegenüber vom Untersuchungsgefängnis zeigt er auf einen Stacheldrahtverhau zwischen Gefängnis und Gerichtsgebäude. Er stamme noch aus der Zeit, als in Berlin Terroristenprozesse stattfanden.

Stefan Zollhauser holt weit aus, als er vom Dienst und den wechselnden Anforderungen des Gefängniswachpersonals erzählt, von 77-Stunden-Wochen und von gedienten Unteroffizieren, die die Häftlinge beaufsichtigten.

An der Ecke Alt-Moabit und Invalidenstraße spricht Spurensucher Zollhauser über das berühmte Einbrecherbrüderpaar Franz und Erich Sass, über ihre Autowerkstatt in Moabit, über ihre revolutionäre Anwendung des Schneidbrenners, um Banksafes zu knacken, vom ersten – misslungenen – Bankeinbruch in die Depositenkasse der Deutschen Bank schräg gegenüber, heute Pizzeria „Don Giovanni“, und vom spektakulären Coup am Wittenbergplatz. Wochenlang hatten sie einen Tunnel vom Nachbarhaus zur Diskontobank in der Kleiststraße 23 gegraben. Den stählernen Tresorraum brachen sie von hinten auf und stahlen nur, was sie rasch zu Geld machen konnten. Zurückblieben Chaos, zwei leere Weinflaschen und Bündel von Wertpapieren. Wo sie Teile der Beute versteckt haben, weiß bis heute niemand. Gerüchte besagen, im Grunewald, weswegen man immer wieder Leute mit Metallsonden im Wald beobachten kann. Es fröstelt bei der Beschreibung des restlichen Lebensweges der Sass-Brüder. Beide werden am 27. März 1940 im Konzentrationslager Sachsenhausen vom späteren Auschwitzkommandanten Rudolf Höß ermordet.

Nördlich des Hauptbahnhofs, an den Mauern des in den 50er-Jahren abgerissenen Zellengefängnisses, endet die Tour. Dort wurde im Mai 1949 das letzte Todesurteil in Westberlin vollstreckt, zwölf Tage vor Verkündigung des Grundgesetzes. KEN

Weitere Informationen auf www.berliner-spurensuche.de.
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 133× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 919× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 588× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.086× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.977× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.