Die große „Volkssportstätte“
Vor 90 Jahren wurde das Poststadion eingeweiht

Erst Schwimm-, dann Sporthalle. | Foto: KEN
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Die Gegend um die Lehrter Straße war in früheren Zeiten vom Militär geprägt – und vom Sport. Davon zeugt nicht zuletzt das Poststadion.

In seiner Nähe, auf dem Gelände des späteren Zellengefängnisses, hatte Ernst Eiselen (1793-1846), ein Schüler von „Turnvater Jahn“ und Vertreter der Turnbewegung, die bekanntlich eng mit der frühen deutschen Nationalbewegung verknüpft war, bereits 1842 den ersten öffentlichen Turnplatz in der Stadt anlegen lassen. Er wurde in erster Linie von älteren Schülern genutzt.

Es verging mehr als ein dreiviertel Jahrhundert, bis im Osten Moabits eine für die gesamte Stadt bedeutende Sportstätte entstand. Zwischen 1926 und 1929 wurde im östlichen Abschnitt des nach dem Versailler Vertrag aufgegebenen Exerzierplatzes, einem Karree von Lehrter, Krupp-, Rathenower und Seydlitzstraße, mit der Adresse Lehrter Straße 59 das Poststadion errichtet. Auftraggeber für die große „Volkssportstätte“ war der Postsportverein der Reichspost. Der Verein existiert noch heute unter dem Namen Pro Sport Berlin 24.

Noch rund ein Jahrzehnt zuvor hatte auf dem Gelände die Gegenrevolution Stellung bezogen. Der kaisertreue Kriegsveteran und Republikhasser Wilhelm Reinhard hatte dort aus rechtsnationalistisch gesinnten Soldaten Freiwilligeneinheiten, die sogenannten Freikorps, gegründet. Ihrer bediente sich bald der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske, um in Stadt und Land für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Es waren die Tage der Revolution 1918/1919.

Zurück zum Sport: Poststadion-Architekt Georg Demmler (1873-1931), selbst Sportler und Teilnehmer an Olympia 1896 in Athen und 1900 in Paris sowie Gründer des heutigen Berliner Fußball-Verbandes, ersann ein Ensemble aus Anlagen für Rasen-, Wasser- und Hallensportarten. Um ein großes Wettkampfstadion mit expressionistischem Tribünengebäude, das seinerzeit 35 000 Zuschauer aufnehmen konnte, gruppierte Demmler zehn Tennisplätze, ein Tennisstadion, vier Fußballplätze, eine Schwimm- und Ruderhalle und ein Sommerbad. Im Erdgeschoss des Tribünengebäudes befand sich eine Kegelbahn. Der Haupteingang liegt damals wie heute an der Lehrter Straße. Der Vorplatz gleicht einem Trichter und wird von Kassenhäuschenreihen aus Backstein flankiert.

Das Poststadion wurde in der Weimarer Republik architektonisches Vorbild für zahlreiche Sportparks in Deutschland. Noch heute gehört es zu den größten Sportanlagen Berlins. Es steht unter Denkmalschutz.

Den Zweiten Weltkrieg überstand die Anlage einigermaßen glimpflich. 1945 wurde das Stadion wiederaufgebaut, sodass der Spielbetrieb im Sommer des Jahres wieder aufgenommen werden konnte. Das Freibad konnte am 19. August 1945 wiedereröffnet werden.

Im Poststadion fanden in den zwanziger und dreißiger Jahren Sportereignisse von überregionaler Bedeutung statt. Hier wurde die deutsche Fußballmeisterschaft entschieden. Hier fanden die Vorrundenspiele der Fußballer bei den Olympischen Spielen 1936 statt. Am 7. Juli 1935 war das Stadion zur Boxarena für Max Schmeling und Paulino Uzcudun umfunktioniert worden.

Das Poststadion wurde auch politisch benutzt. Im „Dritten Reich“ marschierte am Maifeiertag im Stadion die Hitlerjugend auf. Auf den großen Kundgebungen der Jugend sprach Adolf Hitler. Am 20. Juni 1946 fand die erste öffentliche Kundgebung der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Redner war Kurt Schumacher.

Erst Schwimm-, dann Sporthalle. | Foto: KEN
Das expressionistische Tribünengebäude des Poststadions. | Foto: KEN
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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