Verein Lesen und Schreiben feiert 30-jähriges Bestehen
Neukölln. 1983 wurde der Verein Lesen und Schreiben Berlin von Analphabeten und engagierten Unterstützern gegründet. Als einzige Einrichtung in Deutschland bietet er seiner Zielgruppe ganztägige Angebote, die mit praktischer Arbeit kombiniert und sozialpädagogisch begleitet werden.
14,5 Prozent der deutsch sprechenden erwerbsfähigen Erwachsenen sind funktionale Analphabeten. Das heißt, sie können keine zusammenhängenden Texte lesen und schreiben. Auch Marion Karakelle, früher Schulverweigerin, war davon betroffen. Bis vor zwei Jahren, als sie beim Verein Lesen und Schreiben in ein Vollzeitprogramm einstieg. Neben der Rechtschreibung erhält sie Unterricht in Grundbildungsfächern wie Mathematik und arbeitet in der Werkstatt, der Küche und im Biogarten. "Mein Leben hat sich sehr verändert", sagt Marion Karakelle, die heute in der Lage ist, ihrer geistig behinderten Tochter beim Lernen zu helfen und keine Angst mehr davor hat, sich auf einem längeren Weg zu verfahren. "Ich bin viel sicherer geworden im Alltag", freut sich die 41-Jährige, deren Ziel eine Ausbildung zur Krankenpflegerin ist. Den Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, entspricht der Zielsetzung des Vereins, der 1983 von der Diplom-Pädagogin Marie-Luise Oswald gegründet wurde. "Wir sind der einzige Verein in Deutschland, der so viel Erfahrung mit Vollzeitangeboten hat und ausschließlich für die Zielgruppe sozialpädagogisch begleitete Angebote macht", erklärt Diplom-Pädagogin Ingan Küstermann vom Verein und fügt hinzu: "Für viele unserer Lerner sind wir ein Anker für das ganze Leben." Honorarkräfte und ehrenamtliche Mitarbeiter unterrichten sie mit einem Lehrwerk, das bundesweit vertreiben wird. Bezahlt werden die individuellen Fördermaßnahmen in der Regel als "Kann-Leistung" von den Jobcentern, aber, so Küstermann: "Obwohl sich die Jobcenter der nationalen Strategie für Alphabetisierung angeschlossen haben, ist die Vermittlung über sie rückläufig."
Seit 30 Jahren arbeitet der Verein daran, das Tabuthema des Analphabetismus ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. "Es ist nicht nur eine kleine Randgruppe, die davon betroffen ist. Wir sehen jeden fünften Schulabgänger in der Risikogruppe", sagt Ingan Küstermann.
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