Als „abenteuerliche Zeit“ verharmlost: Forschungswerkstatt Kolonialgeschichte

Aus der chinesischen Partnerschule der Löcknitz-Schule in der ehemaligen deutschen Kolonialstadt Tsingtau stammt diese filigrane Arbeit. | Foto: KEN
  • Aus der chinesischen Partnerschule der Löcknitz-Schule in der ehemaligen deutschen Kolonialstadt Tsingtau stammt diese filigrane Arbeit.
  • Foto: KEN
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Schöneberg. Tempelhof-Schöneberg ist der erste Berliner Bezirk, der die deutsche Kolonialgeschichte lokal erforscht. Ein erstes Ergebnis ist die beachtenswerte Aussstellung „Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“ im Schöneberg Museum.

Unlängst hat die wissenschaftliche Volontärin des Museums, Marie Becker, ihre Ergebnisse vorgestellt. Das Museum hatte im Zuge der Forschungswerkstatt zur Kolonialgeschichte einen öffentlichen Aufruf gestartet. Gesucht wurden und werden weiterhin Gegenstände oder Dokumente, die einen Bezug zu den ehemaligen deutschen Kolonien haben: Briefe, Abbildungen, Postkarten, Sammelkarten, Bücher, Kolonialwaren oder Mitbringsel. „Wir wollen einen kleinen Sammlungsbestand aufbauen“, so Museumsleiterin Irene von Götz.

Der Aufruf sei als Anregung gedacht, über den Kolonialismus nachzudenken, ergänzt Becker.

„Die Kolonialgeschichte wirkt bis heute nach“, sagt sie. Die deutsche Kolonialzeit werde als abenteuerlich verharmlost. Allmählich aber verändere sich der Blick auf die Geschehnisse von damals, in Berlin abzulesen an den Straßenumbenennungen im Bezirk Mitte.

Zehn Tempelhofer und Schöneberger sind in den Keller oder auf den Dachboden gestiegen und haben nach Fundstücken gesucht. Marie Becker hat die dem Museum überlassenen Objekte untersucht, ausgewertet und dabei Erstaunliches über die „Erinnerungsträger einer kolonialen Kultur“ zu Tage gefördert. „Die eingelieferten Objekte sind Teil einer Familiengeschichte. Sie sind aber auch Teil einer größeren Geschichte“, sagt Becker.

Da ist zum Beispiel die von der Hamburger Firma Wolff & Sohn um 1900 produzierte „Indische Blumenseife“, deren Verpackung ein „klassisches koloniales Werbebild“ trage. Der Konsument werde hier „Teil des Eroberungsfeldzuges“. Oder die Sarotti-Dose in einer Nostalgie-Edition aus dem Jahr 1973.

Die Löcknitzschule hat ein Gastgeschenk ihrer chinesischen Partnerschule in der ehemals deutschen Kolonialstadt Tsingtau (Qingdao) ausgeliehen: eine Muschel mit der Silhouette der Stadt. Das Objekt ist als Ausstellungsstück im Museum zu sehen. Ebenfalls aus Tsingtau stammen Miniaturschnitzereien, die Ende des 19. Jahrhunderts gefertigt wurden. Sie stellen Opiumraucher, eine Sänfte tragende Männer, eine Dschunke und chinesische Foltermethoden dar.

Ein Schöneberger stellte Bücher aus verschiedenen Jahrzehnten zur Verfügung. Für Marie Becker besonders interessant war die während der NS-Zeit erschienene Edition der „Kolonial-Bücherei“. Die Bücher erschienen zwischen 1940 und 1942 und tragen Titel wie „Standgericht am Njassa“.

Alte Kolonialliteratur wurde bis in die Mitte der 30er-Jahre neu aufgelegt, ebenso Gustav Frenssens „Peter Moors Fahrt nach Südwest. Ein Feldzugsbericht“, das den Krieg gegen die Herero zum Inhalt hat. Der Tenor laute, so Becker, „der Untergang der Herero ist gottgewollt“. „Solche Bücher sind immer noch erhältlich“, kritisiert sie.

Ein „besonders spannender Forschungsgegenstand in der Zukunft“ seien die Dokumente und Fotos zweier Familien, die mit Unterbrechungen seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die späten Dreißiger als Farmer in „Deutsch-Südwest“, dem heutigen Namibia, gelebt haben. Becker freut sich über weitere Fundstücke und ist unter Marie.Becker@ba-ts.berlin.de oder 902776165 zu erreichen. KEN

Die in der Hauptstraße 40-42, ist noch bis 29. Oktober, montags bis donnerstag von 14-18 Uhr, freitags von 9-14 Uhr, und am Wochenende von 14-18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen unter www.museen-tempelhof-schoeneberg.de.
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

19 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 170× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 261× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 255× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 108× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 324× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 654× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.