Interview mit Birgit Faak, Leiterin der Heinrich-Böll-Oberschule
"Schüler wollen sich an der Schule wohlfühlen"
Laut Senat blieb 2018 jeder zehnte Schulabgänger der Integrierten Sekundarschulen (ISS) ohne Abschluss. 10,9 Prozent schafften keinen Mittleren Schulabschluss (MSA), keine Berufsbildungsreife und auch nicht die Erweiterte Berufsbildungsreife. In den Spandauer Sekundarschulen war es sogar fast jeder achte Schüler (13,4 Prozent). Die Heinrich-Böll-Oberschule steht mit nur 9,7 Prozent deutlich besser da. Wie die Schule das schafft, darüber sprach Schulleiterin Birigt Faak mit Reporterin Ulrike Kiefert.
Was macht die Heinrich-Böll-Oberschule anders?
Birgit Faak: Ich denke, die guten Ergebnisse an unserer Schule lassen sich nicht zuletzt auf unser hoch qualifiziertes und sehr engagiertes Kollegium zurückführen. Das soll nicht heißen, dass es solche Kollegien nicht auch an anderen Schulen gibt. Aber ein Team zu haben, das nicht nur mit den Schülern gut kann, sondern auch miteinander, das ist schon beispielhaft.
Wie viele Lehrer gehören zu diesem Team?
Birgit Faak: Unsere momentan 964 Schüler werden von 110 Lehrkräften unterrichtet. Davon sind 21 Quereinsteiger und sechs Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung. Wir haben schon vor sechs Jahren damit begonnen, uns intensiver um Quereinsteiger zu bemühen und sie bestmöglich zu qualifizieren. Denn es zeichnete sich ab, dass unsere Schule nicht mehr in vollem Umfang auf herkömmlich ausgebildete Referendare und Lehrkräfte wird zurückgreifen können. Heute können wir nicht nur auf eine nahezu hundertprozentige Personalausstattung zählen, sondern auf Lehrkräfte mit hervorragenden fachlichen und pädagogischen Kompetenzen.
Enge Kooperation mit Outreach
Eine gute Schule braucht aber nicht nur engagierte Lehrer, sondern auch ein gutes pädagogisches Konzept.
Birgit Faak: Ja, natürlich. Unser Unterrichtskonzept fördert die Selbstorganisation der Schüler und ihre Verantwortung fürs eigenständige Lernen. Jugendliche wollen ernst genommen und motiviert werden, nicht gemaßregelt. Selbstorganisation und Selbstverantwortung heißt jedoch nicht, dass unsere Schüler alles allein machen müssen. Geübt wird dies in Lernbüros, zwei Stunden täglich. Alleingelassen werden die Schüler definitiv nicht, im Gegenteil. Ihr Lernprozess wird intensiv begleitet und unterstützt. Schüler wollen sich an der Schule wohlfühlen, und das tun sie bei uns. Lernen läuft über Beziehungen, die Beziehung zum Schüler, zu den Eltern und der Kollegen untereinander. Das funktioniert an unserer Schule sehr gut. Über viel Unterricht im eigenen Team und tägliche Gruppenzeiten zum Beispiel. So bekommen die Klassenlehrer viel schneller mit, wenn ein Schüler fehlt oder gemobbt wird. Dazu haben wir fünf hochengagierte Schulsozialarbeiter und Erzieher, die in die Teams integriert sind und bei Bedarf ebenfalls schnell eingreifen können. Beim Thema Schulabbrecher arbeiten wir zudem eng mit Sozialarbeitern von „Outreach“ zusammen, die Schülern ohne Abschluss Praktika vermitteln. Auch unser Reflektorium und Zuspätkommerprojekt tragen dazu bei, dass wir weniger Schulabbrecher haben, nahezu keine Gewaltvorfälle und viel Lob von den Eltern.
Über eigene Verfehlungen nachdenken
Was genau ist ein Reflektorium?
Birgit Faak: Ein sozialer Trainingsraum, in dem über das eigene Verhalten reflektiert wird. Ein Team aus zwei Schulsozialarbeitern sitzt mit Schülern zusammen, die unkonzentriert im Unterricht sind oder ihn wiederholt stören. Gemeinsam versuchen sie Lösungen zu finden, wie der Schüler zurück in den Unterricht kann. Funktioniert das nicht, wird mit den Eltern gesprochen. Im letzten Schuljahr hatten wir zwei solcher Härtefälle. Beim Zuspätkommerprojekt stehen unsere Schulsozialarbeiter jeden Morgen vor der Mensa und fangen sozusagen die verspäteten Schüler ab, um mit ihnen über die Gründe zu sprechen. Weil um diese Zeit noch Gruppenzeit ist, verpassen die Schüler aber keinen Fachunterricht.
Warum schaffen Schüler Ihrer Erfahrung nach nicht ihren Abschluss?
Birgit Faak: Ich glaube, der Hauptgrund ist die Perspektivlosigkeit. Viele Schüler haben keinen Plan für später und wissen nicht, warum und für wen sie eigentlich lernen sollen. Das kann unter anderem daran liegen, dass sich die Eltern zu wenig Zeit für ihre Kinder nehmen und in Gesprächen oft nur schlechte Noten, Fehlzeiten oder das Zuspätkommen thematisiert werden. Das Loben, auch für Kleinigkeiten, kommt meist zu kurz. Aber klar ist auch, eine intensivere personelle Betreuung in der Schule – nicht zuletzt wegen der gestiegenen vielfältigen Problemlagen an den Schulen – würde die Situation maßgeblich verbessern und auch dazu beitragen, die Kollegen zu entlasten. Das erscheint mir nicht nur an reformpädagogischen Schulen als dringend notwendig. Dass es an den Schulen so viele Quereinsteiger gibt, ist aus meiner Sicht nicht der Grund dafür, dass Schüler die Schule abbrechen. Die Quereinsteiger bringen andere, wichtige Kompetenzen mit, das ist ihr großes Plus.
Studenten helfen
bei den Hausaufgaben
Der Schulausschuss hat auf Antrag der CDU-Fraktion dafür plädiert, dass jede Schule mindestens einen Sozialarbeiter bekommt, um die Zahl der Schulabbrecher zu senken. Hilft das?
Birgit Faak: Mehr Personal ist nötig, auf jeden Fall. Dazu gehören auch Schulsozialarbeiter, Lerntherapeuten oder Logopäden, denn die sozialen Probleme der Schüler nehmen zu. Auch Lerncoaches nach dem Schweizer Vorbild halte ich an Schulen für sinnvoll. Mehr Personal heißt, mehr Zeit fürs Kind zu haben und einen abwechslungsreichen Schulalltag organisieren zu können. Denn wer gern zur Schule geht, der schwänzt nicht. Wir haben zum Beispiel einen großen Freizeitbereich an unserer Schule, eine lange Mittagspause und eine beispielhafte Mensa, einen Kinotag und andere Aktionen. Und zu uns kommen vier Mal in der Woche Studenten und ehemalige Abiturienten, um Schülern bei den Matheaufgaben oder in anderen Fächern zu helfen. Aus all diesen Einzelteilen setzt sich das Puzzle zusammen, das zum Erfolg führt.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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