Bilder aus der Zeit des Umbruchs
Ausstellung an der Brotfabrik zeigt Jörn Reißigs Sicht auf das Leben in Ost-Berlin

Dieses Foto von Jörn Reißig entstand 1980 in Budapest: Jugendliche warten auf Einlass zu einem Konzert. | Foto: Nachlass Jörn Reißig
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  • Dieses Foto von Jörn Reißig entstand 1980 in Budapest: Jugendliche warten auf Einlass zu einem Konzert.
  • Foto: Nachlass Jörn Reißig
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Die Galerien in der Stadt bleiben zwar bis Ende November geschlossen. Das Team des Kulturzentrums Brotfabrik zeigt aber trotzdem eine Ausstellung.

Seit einigen Monaten wird die Galerie im Hof zurückgebaut, erneuert und vergrößert. Deshalb können sowieso keine Ausstellungen stattfinden. Stattdessen nutzt das Galerie-Team den Kultur:Wagen des „Glashaus. Vereins der Nutzer der Brotfabrik“. Auf die Kunstwerke können Besucher von der geöffneten Tür aus einen Blick werfen, und zwar unter Einhaltung aller Hygienevorschriften.

Deshalb kann im Wagen auf dem Caligariplatz auch bis zum 31. Dezember die Ausstellung „Wenn die Unruhe zu groß wird … Fotografien (1884-1994)“ von Jörn Reißig (1958-1997) gezeigt werden. Weitere Fotografien sollten eigentlich im Neuen Salon zu sehen sein. „Die zeigen wir nun stattdessen rund um die Uhr in unseren Schaufenstern“, sagt Galeristin Petra Schröck. „So gesehen sind wir zwar eingeschränkt. Die Ausstellung ist aber kontaktfrei geöffnet.“ Der Bauwagen ist täglich von 12 bis 18 Uhr geöffnet.

Jörn Reißig sprach mit seinen Schwarz-weiß-Fotografien einen Kreis von Themen an, mit denen sich viele Bürger und Künstler in der DDR in der zweiten Hälfte der 80er- und der ersten Hälfte der 90er-Jahre auseinandersetzten: Mit der Eingeschlossenheit und dem Fernweh, mit Konformität und Individualität, mit Utopie und deren Scheitern. „Und er dokumentierte ebenso den plötzlichen Einbruch der bundesdeutschen Demokratie und der kapitalistischen Wirtschaft in den Staatssozialismus der DDR“, berichtet Petra Schröck. So stehe Jörn Reißig mit seinem Einzelschicksal für eine stille, aber nicht sprachlose Mehrheit, die das System der DDR in Form von alltäglichen Repressalien, Vorschriften und Zwängen erlebte, sich aber seinen eigenen Weg der Nischen und des persönlichen Widerstands bahnte. Die Fotos von Reißig zeigen seinen Blick auf diese Realität.

1984 begann Jörn Reißig, sich mit Fotografie zu beschäftigen und richtete sich eine Dunkelkammer in seiner Anderthalbzimmerwohnung in der Schliemannstraße ein. Als Ingenieur hatte er einen technischen Blick. Zunächst noch unsicher, werden seine Vorstellungen klarer, sein Fotografieren sicherer. Phasen des Experimentierens gingen in Zeiten über, in denen er dokumentarisch arbeitet. Seine Schwarz-Weiß-Fotografien zeugen abseits der offiziellen Bildästhetik von der Tristesse und von der allmählichen Veränderung Ost-Berlins. Sie dokumentieren die typischen Altbau-Hinterhäuser, die DDR-Moderne im Stadtzentrum sowie Mitpatienten aus dem Krankenhaus Herzberge in Berlin, in dem Reißig aufgrund seiner manisch-depressiven Erkrankung regelmäßig, auch nach der Wende, behandelt wurde. Für Jörn Reißig war der Aufbruch der Protestbewegung in der DDR-Gesellschaft auch ein persönlicher Aufbruch. Er fotografierte Demonstrationen, besetzte Häuser, Freunde und Bekannte. Ein konstanter Schwerpunkt bleiben seine Aufnahmen städtischer Räume und Plätze mit schonungslosen Porträts bröckelnder Fassaden und verwaister Plätze.

Der fotografische und schriftliche Nachlass von Jörn Reißig wird übrigens derzeit von der Brotfabrik-Galerie digitalisiert und 2021 der Öffentlichkeit in geeigneter Weise zugänglich gemacht.

Autor:

Bernd Wähner aus Pankow

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