Personalmangel in Physiotherapiepraxen
Physios in Not - Hoffen auf ein Wunder

Patientin mit Theraband bei Physiotherapiesitzung | Foto: freepic.com

Zehlendorf.   Ich bin ja langsam in einem Alter, wo man statt Zuwendungen eher Anwendungen erhält. Dabei lasse ich hier wie da nicht jeden ran. Ich habe nämlich das Pech, mit einem herausfordernden Krankheitsbild geschlagen zu sein, wodurch einer individuellen Behandlung große Bedeutung zukommt - kann sie doch maßgeblich zur Abnahme der Beschwerdelast und Zunahme der Lebensqualität beitragen.

Die Suche nach jemand Passendem unter dem physiotherapeutischen Fachpersonal gestaltete sich für mich als gesetzlich Versicherte zunächst recht schwierig. Auch die Branche hat seit langem mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Der Mangel an Mitarbeitern ist eklatant. Schon vor Jahren waren zeitnahe Termine meist gar nicht zu bekommen, und wenn doch, mangelte es an regelmäßigen Anschlussmöglichkeiten. Einige Praxen waren zwischen vier und sechs Wochen im Voraus ausgebucht oder nahmen gar keine neuen Patienten mehr an. Wo ich diesbezüglich Glück hatte, durfte ich viele interessante Menschen und unterschiedliche Herangehensweisen kennenlernen.

Behandlungen im Galopp

Wenngleich der Funke nirgendwo überspringen wollte – Umwege erhöhen die Ortskenntnis! Meist war man anfänglich sehr engagiert und versuchte tatkräftig, meinen Problemen zu Leibe zu rücken und mir zu helfen. Leider schien das Interesse zu schwinden, sobald die erhofften Erfolge auf sich warten ließen. Doch wie wahrscheinlich sind diese – vor allem bei komplexeren Beschwerden – wenn krankenkassenseitig gerade mal 15 Minuten zugebilligt und bezahlt werden, die auch noch das An- und Auskleiden der Patienten sowie die Befundung und Dokumentationspflichten des Behandlers beinhalten?

Was lange währt ...

Nach zahlreichen Irrungen und Wirrungen wurde ich schließlich doch noch fündig. Seit nunmehr sieben Jahren habe ich keine andere Physiopraxis mehr betreten. Den längeren Fahrtweg nehme ich gerne in Kauf. Der Meister mit den sehenden Händen wusste schon damals recht schnell, was ich brauche, auch ohne, dass ich viel gesagt habe. Unermüdlich bringt er seither meinen Korpus auf Trab, löst engagiert und kompetent verklebte Faszien und blockierte Wirbel und schafft Entspannung für drahtseilartige Muskelstränge. Kurzum: er sorgt dafür, dass ich noch krauchen kann und hat mir durch beherztes Handeln sogar eine OP erspart. Ein echter Glücksgriff also!

Von seinem reichen Erfahrungsschatz und den vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten profitieren Kassen- wie Privatpatienten gleichermaßen. Eine Zwei-Klassen-Medizin lehnt er ab. Der vierfache Familienvater sieht in seinen Patienten in erster Linie Menschen, denen er helfen will und keine reinen Einnahmenerbringer. Doch auch er ist gezwungen, die Praxis wirtschaftlich zu führen, um zu überleben. Mit gesetzlich Versicherten allein wäre das nicht möglich.

Unterbezahlt trotz Systemrelevanz - Politisches Umdenken dringend erforderlich

Seit Jahrzehnten werden physiotherapeutische Leistungen von den Krankenkassen zu gering vergütet. Selbst zurückliegende Erhöhungen im zweistelligen Prozentbereich konnten nicht ausgleichen, was seit Ewigkeiten versäumt wurde. Entsprechend gering ist der Gehaltsspielraum, in dem sich Praxisinhaber bewegen können. Ein Punkt, der auch für den Nachwuchs die Attraktivität dieses wichtigen und erfüllenden Berufszweiges nicht gerade erhöht. Dabei sollte es sich doch eigentlich von selbst verstehen, dass gut ausgebildete Fachkräfte eine angemessene Bezahlung erhalten. Das gilt für Angestellte und Praxisinhaber gleichermaßen.

„Niemand wird Physiotherapeut weil er Geld scheffeln will. Aber unterm Strich muss - wie überall - genug Geld zum Leben übrig bleiben“, erklärt mir der 40-jährige Herthaner. „Ich gebe schon immer an meine Mitarbeiter weiter, was ich verantworten kann. Auch, was die Arbeitsbedingungen anbelangt, versuche ich, die so angenehm wie irgend möglich zu gestalten, durch wie z. B. zusätzliche Urlaubstage, keine Wochenenddienste, bezahlte Fortbildungen, Mitgestaltung der Arbeitszeiten und eine familiäre und freundschaftliche Atmosphäre. Aber letztlich ist es nüchterne Mathematik, an der auch ich nicht vorbeikomme.“

Eklatanter Mitarbeitermangel

Dabei kann sich die Branche vor Arbeit kaum retten. Und der Bedarf wird durch den demografischen Wandel noch weiter zunehmen. Doch wer sich vergrößern will, dem macht die allgemeine Personalmisere einen Strich durch die Rechnung. Vor genau einem Jahr bezeichnete der größte deutsche Verband „PHYSIO DEUTSCHLAND“ die Sachlage bereits als „dramatisch“. In der Regel müssen Arbeitgeber etwa ein halbes Jahr warten, bis überhaupt ein Bewerber kommt. Eine Lösung, wie sich die seit Jahren verschärfende Situation umgekehrt werden kann, ist noch nicht in Sicht.

Vor gut 15 Jahren konnten Inhaber noch aus fünf Bewerbern den passendsten auswählen. Mittlerweile ist es fast anders herum. Knapp vier Jobangebote kommen rechnerisch auf einen Stellensuchenden.

Das Missverhältnis zwischen Bedarf und nachwachsendem Personal verschärft sich schon seit langem. Freie Stellen bleiben im Schnitt über acht Monate unbesetzt. Die Prognose ist düster. „In absehbarer Zeit wird nicht viel Personal nachrücken. Dazu kommt, dass über 30 Prozent der Physiotherapeuten über 55 Jahre alt sind und irgendwann aufhören“, meint Prof. Dr. Michael Maiwald, Vorstandsvorsitzender des Regionalverbandes Mitteldeutschland e.V.. „Hinzu kommt, dass die derzeitig tätigen Physiotherapeuten im Schnitt lediglich rund sieben bis acht Jahre in der Physiotherapie bleiben.“

Woher also nehmen, wenn nicht stehlen? Einige größere Praxen buhlen mit Prämien in vierstelliger Höhe um neues Personal. Für die Kleineren mit bis zu fünf Angestellten wird es immer schwerer, sich am Markt zu halten. Da helfen auch Spitzenbewertungen bei Google nicht. Solche Summen können sie nicht leisten. Außerdem treffen sie krankheitsbedingte Ausfälle oder gar Kündigungen von Mitarbeitern besonders hart.

Das verflixte siebte Jahr?

Kaum, dass ich letztens die Behandlungsbank erklommen habe, lässt der Meister die Bombe platzen. Sein zweiter Mann hat ihm eröffnet, dass er seinen Traumjob gefunden hat. „Wie es aussieht, wird mir nicht viel Anderes übrig bleiben, als demnächst nur noch Privatpatienten zu behandeln, um nicht in die Insolvenz zu rutschen. Es sei denn, es findet sich doch noch kurzfristig Ersatz.“ Unvermittelt betrifft mich die Krise selbst. In meinen Ohren rauscht es wie bei einem Knalltrauma. Zum Glück liege ich bereits. „Ja, das ist schon bitter, wir waren ein gutes Team“, fährt er fort. „Aber ich kann ihn auch verstehen. Wenn man, gerade in jungen Jahren, so eine Chance bekommt, dann muss man das machen. Für die Praxis ist es allerdings katastrophal. Die Fixkosten fressen uns auf. Ob sich zeitnah jemand Passendes finden lässt, steht in den Sternen. Ohne einschneidende Veränderungen können wir das leider nicht kompensieren.“

Letzten Herbst feierte man noch 10-jähriges Praxisjubiläum. Was dieses Jahr bringen wird ist ungewiss. Ich hoffe inständig auf ein Wunder.
Sabine Wilhelm-Osterloh

Autor:

Sabine Wilhelm-Osterloh aus Lichtenrade

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