Kampf um Aldi
Die Auseinandersetzungen in der Markthalle Neun

Noch gibt es die Aldi-Filiale in der Markthalle Neun. | Foto: Thomas Frey
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  • Noch gibt es die Aldi-Filiale in der Markthalle Neun.
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Sollten dem Handelsriesen Aldi kreative Köpfe in seiner Werbeabteilung fehlen, hier könnte er fündig werden. Mit Vehemenz legen sich  Anwohner für "ihre" Filiale ins Zeug, zerpflücken Argumente der Gegenseite. Und das mitten in Kreuzberg, wo die Mehrheit der Bevölkerung normalerweise nicht im Verdacht steht, ein Herz für Großunternehmen zu haben.

Die Sympathiekundgebungen für Aldi sind am schwarzen Brett der Markhalle Neun in der Eisenbahnstraße nachzulesen. Der Grund ist die Kündigung des Discounters. Er muss die Halle zum 31. Juli verlassen. Seit 1977 gab es dort einen Aldi. Sein Ende sehen viele als weiteres Beispiel für die Gentrifizierung im Kiez.

Die Fronten sind auf den ersten Blick etwas paradox. Auf den zweiten schon weniger. Aldi war der eingeführte Nahversorger, gerade für Menschen, die beim Einkauf nicht unbedingt mit den Geldscheinen um sich werfen können. Und das gilt immer noch für viele in dieser Gegend. Die Markthalle Neun hat sich dagegen in den vergangenen Jahren zu einer hippen Food-Adresse entwickelt. Sie lag lange im Dornröschenschlaf, ehe 2011 die drei Interessenten Nikolaus Driessen, Bernd Maier und Florian Niedermeier im Rahmen eines Konzeptverfahrens den Zuschlag für eine Neuausrichtung erhielten. Seither hat das Trio einiges auf die Beine gestellt.

Bio, regional, aber für viele zu teuer

Die Angebote sind häufig bio und regional, in der Regel hochwertig. Offeriert oft von Einzelhändlern, auch jungen Start-ups aus der Lebensmittelbranche. Die Nachfrage ist an manchen Tagen sehr groß, etwa an den langen Donnerstagen oder am Sonnabendvormittag. Es gibt Spezialevents, bei denen es um Bier, Käse oder Schokolade geht. Die Preise sind eher im gehobenen Segment, im Gegenzug ist das ökologische und politisch-korrekte Gewissen vieler Käufer beruhigt. Die kommen auch nicht nur aus der näheren Umgebung. Aber nicht jeder kann sich das leisten.

Aus Sicht der Betreiber ist das aber eine Erfolgsgeschichte und eigentlich haben sie doch so agiert, wie es gerade in diesem Bezirk immer postuliert wird: eine nachhaltige Verwertungskette, von der Anbieter aus der näheren oder nicht weiten Umgebung profitieren; Chancen für handwerklich gemachte Produkte, die inzwischen, nach Angaben des Konsortiums, für 450 Arbeitsplätze in der Halle sorgen. Der Aldi passte da schon länger nicht mehr die Landschaft.

Er sorgte aber dafür, dass bisher sehr unterschiedliche Kunden aufeinander trafen. Überschneidungen inklusive. Manch einer, der zunächst bei den Markthändlern seine Ware orderte, stahl sich danach noch zum Discounter. Ausnahmsweise, versteht sich. Solche "Verlustgeschäfte" waren ein Grund für das Aldi-Aus. Die sonstigen Angebote sollen dadurch gestärkt werden, geben die Markthallenverantwortlichen zu.

dm statt Aldi

Statt Aldi kommt jetzt ein dm-Markt. Bei der Drogeriekette handelt es sich zwar ebenfalls um einen Großanbieter in seinem Segment. Aber er bedeutet zum einen keine direkte Konkurrenz zum sonstigen Bestand. Auch wenn einige Lebensmittel dort ebenfalls erhältlich sein sollen. Außerdem decke er eine Versorgungslücke im Kiez. Und, das wird ebenfalls deutlich gemacht, die dm-Unternehmensphilosophie findet bei den Markthallenchefs mehr Akzeptanz als die von Aldi.

Argumente, die die Anhänger der Filiale unter anderem als arrogant und abgehoben abkanzeln. Arbeitsbedingungen? "Wie viele Mitarbeiter an euren Marktständen können sich selbst die Ware leisten?", kam als Konter. Qualität? Auch Aldi biete bio, regio und vegan, aber billiger. Auch der Hinweis der Betreiber, dass die Miete im Markt eher gemäßigt sei, scheint die Gemüter nicht zu beruhigen. Ebenso wenig wie der Verweis, dass sich mit etwas Übersicht bei manchen Händlern auch günstige Angebote finden. Und auch nicht ihre Feststellung, dass im Umkreis zwischen 200 Metern und zwei Kilometern zahlreiche Discounteralternativen existierten. Unter anderem vier von Aldi.

"House of Food" soll einziehen

Es geht um diesen Standort als Exempel, hinter dessen Ende noch viel mehr stecke. Es werden Verbindungen der Markthallenbetreiber in die Immobilienbranche kolportiert; sie wollten an einem weiteren großen Rad drehen, dem Aldi zum Opfer gefallen sei. Gemeint ist damit das sogenannte "House of Food". Dabei handelt es sich um ein Senatsprojekt für gesunde Ernährung. Köche und Küchenpersonal sollen nach Bio-Art ausgebildet werden. Mit dem Ziel, den Anteil von hochwertiger Kost etwa in Kitas oder Schulen zu erhöhen. Insgesamt 3,2 Millionen Euro stellt das Land für diese Qualitätsoffensive bis 2021 zur Verfügung.

Gesucht wird jetzt ein Träger, unter dessen Verantwortung das "Haus des Essens" arbeiten soll. Bewerbungen sind bis 27. März möglich. Und es braucht einen Standort. Dafür hat sich die Markthalle Neun ins Spiel gebracht.

Sie hat Ende vergangenen Jahres einen Bauantrag zwecks Umbauten in dem Gebäude gestellt. Demnach soll es eine neue Etage für das Food-Projekt geben. Und zwar über der Fläche des bald nicht mehr vorhandenen Discounters. Erkenntnisse, die dem Gefühl weiter Nahrung gaben, es werde etwas geplant, was an den Bedürfnissen vieler Anwohner vorbeigehe und worüber sie auch offiziell nicht informiert wurden. Einige sehen darin einen neuen Fall "aus dem Berliner Immobilien- und Zuwendungssumpf". Das "House of Food" sei eigentlich gar keine schlechte Sache, finden andere. Aber nicht unbedingt in der Markthalle oder in dieser Gegend. Dass dieses Vorhaben wenig Kiezbezug habe, wird unter anderem mit dem Verweis auf manche Schulen festgemacht, die bereits froh wären, wenn sie überhaupt eine anständige Küche hätten.

Runder Tisch gefordert

Dass der Kampf um Aldi inzwischen nachhaltige Wirkung erzielt hat, ist auch der Politik nicht verborgen geblieben. Einmal mehr kommt von dort die Forderung nach einem Runden Tisch, aktuell vorgebracht von den Grünen für die Bezirksverordnetenversammlung am 27. März. Die SPD verlangt einen Einsatz des Bezirksamtes zum Erhalt des Nahversorgers.

Es geht um unterschiedliche Einschätzungen, Bedürfnisse, Lebenswirklichkeiten, um ein vorhandenes Konzept, auch wirtschaftliche Interessen, denen die Wünsche vieler in der unmittelbaren Nachbarschaft gegenüberstehen. Und um die Frage, was der Slogan "Eine Halle für alle" konkret bedeutet. Das alles festgemacht am Aus einer Aldi-Filiale.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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