"Kein kleinbürgerliches Häuschenidyll": Dieter Rühle über die Großsiedlung Fennpfuhl

Dieter Rühle mit Originalplänen für die Großsiedlung Fennpfuhl, an der er fast 30 Jahre lang mitarbeitete. | Foto: Wrobel
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Fennpfuhl. Das Wohngebiet Fennpfuhl war zu DDR-Zeiten eine Vorzeigesiedlung, aber auch heute sind die Wohnungen begehrt. Der Architekt Dieter Rühle begleitete die Entstehung des Viertels dreißig Jahre lang. Wir haben uns mit ihm getroffen.

Der 75-jährige Architekt kennt Fennpfuhl in- und auswendig – jeden Hügel, jede Straße, jeden Trampelpfad. Dazu braucht er keine Unterlagen. Viel eher erinnert er sich an die unverwirklichten Ideen, wenn er einen der Ordner aus dem Schrank zieht und die sorgsam geordneten Pläne, Zeichnungen und Schwarz-Weiß-Fotografien studiert.

Die Fußgängerbrücke über die Landsberger Allee, die nie gebaut wurde oder das "Loch-Ness-Monster", geplant als Attraktion im Fennpfuhl-See. Ein Bühnenbildner der Komischen Oper hatte in den 80er-Jahren Entwürfe gezeichnet. "Ich musste nur noch die Frage klären: Wie komme ich an wasserabweisendes Polyester ran?", erzählt Rühle. Dann kam die Wende, Polyester gab nun überall zu kaufen, doch das Monster geriet in Vergessenheit.

"Da steckt mein Herzblut drin"

"Die Siedlung im Fennpfuhl bleibt mein Lebenswerk, da steckt mein Herzblut drin", sagt der Architekt. Die Wohnungen sind heute noch begehrt. Die Wartelisten bei den Wohnungsgesellschaften Howoge und WGLi sind lang.

Rühle selbst wohnt im fünften Stockwerk eines eher unauffälligen Baus, relativ weit entfernt vom Herzen des Quartiers, dem Anton-Saefkow-Platz. Die Wohnung hatte er mit seiner Frau durch einen Ringtausch mit zehn Familien ergattern können. "Zehn Familien!", staunt Rühle noch heute.

Neue Planungen ab 1970

Fast 30 Jahre lang arbeitete er an der Siedlung mit, für die er als "Komplexarchitekt" verantwortlich zeichnete. Schon im Jahr 1956 hatte der bekannte Bauhaus-Architekt Ernst May auf Wunsch der DDR-Führung einen Entwurf vorgelegt. "Das waren drei- und fünfstöckige Blocks – lockere Bebauung mit weiten Grünflächen", so Rühle. Doch die Pläne wurden ad acta gelegt. "Wir machten uns 1970 daran, neue Überlegungen zu formulieren", so Rühle, der bald nach seinem Studium an der Kunsthochschule Weißensee ins Projekt einstieg – übrigens ohne Parteimitglied zu sein.

Eine dichtere Bebauung für rund 50.000 Menschen wurde geplant. Die erste zusammenhängende Großwohnsiedlung der DDR nahm Gestalt an. Die "senkrechten Dörfer", wie noch manch Anwohner die Hochhäuser nennt, wurden zum Vorbild für Quartiere in vielen Teilen der Welt.

Rühle gehörte zum Team unter der Leitung von Heinz Graffunder, der als Chefarchitekt mit dem Bau des Palasts der Republik betraut war. Doch das bedeutete nicht, dass die Fennpfuhler Architekten privilegiert waren. "Wir saßen in Containern mitten im Gebiet, heute ist dort der Parkplatz vor der Anton-Saefkow-Bibliothek, und haben bis in die Nacht gezeichnet und entworfen", erinnert sich Rühle.

Er erklärt das Grundanliegen: "Die Idee war, ein verkehrsberuhigtes und fußgängergerechtes Wohngebiet zu schaffen. Die Infrastruktur mit Bildungseinrichtungen wie Kitas und Schulen und der Grundversorgung wurde mitgedacht. Wir wollten kein kleinbürgerliches Häuschenidyll schaffen, sondern ein städtisches Wohngebiet: der Anton-Saefkow-Platz als überregionales Zentrum mit Warenhaus, Schwimmhalle und Bibliothek bildet mit dem Freizeitpark den Mittelpunkt."

Schimpfwort "Plattenbau"

Die Wohnblocks versprachen ein gesünderes Umfeld als die maroden Altbauten in der geteilten Stadt. Bis heute wirbt die Siedlung mit dem Slogan "Wohnen im Grünen". Der Begriff "Plattenbau" werte sie ab, findet der Architekt.

Dabei gibt es im Fennpfuhl nicht nur standardisiertes Bauen. Zwar wurden die meisten alten Gebäude und Kleingärten abgetragen, doch im Schatten der Hochhäuser überdauert ein Kleinod: die mehr als 100 Jahre alte Fabrikantenvilla in der Karl-Lade-Straße. Heute ist die "Villa am Fennpfuhl" ein beliebter Ort für Hochzeiten. "Schon in den Planungen haben wir das "Hochzeitshaus" eingezeichnet, dabei hatte es da noch nicht diese Funktion", weiß Rühle. Bis 1984 war die Villa der Sitz der Bauleitung. So entkam sie letztlich dem Abriss. KW

Wer mehr über die standardisierte Bauweise und ihre Verbindung zu Lichtenberg wissen möchte, dem sei die Ausstellung "stein.schlacke.beton" im Museum Lichtenberg, Türrschmidtstraße 24, empfohlen. Sie ist noch bis zum 28. Februar zu sehen. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen gibt es unter www.museum-lichtenberg.de.
Autor:

Karolina Wrobel aus Lichtenberg

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