Wende im Streit um die Habersaathstraße
Stadträtin kündigt in der BVV Ablehnung des Vergleichs an

Der Wohnblock an der Habersaathstraße ist zum Präzedenzfall im Kampf um preiswerten Wohnraum geworden.  | Foto: Ulrike Kiefert
  • Der Wohnblock an der Habersaathstraße ist zum Präzedenzfall im Kampf um preiswerten Wohnraum geworden.
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Im Streit um den Plattenbau Habersaathstraße 40 bahnt sich eine überraschende Wende an. Stadträtin Ramona Reiser (Linke) kündigte an, den Vergleich ablehnen zu wollen. Damit wäre der Abriss vorerst vom Tisch. Linke und Grüne hatten das Thema in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) erneut auf die Tagesordnung gesetzt.

Das Bezirksamt will den Abriss des Mietshauses Habersaathstraße 40 bis 48 nun offenbar doch verhindern und sich weiter durch die Instanzen klagen. Stadträtin Ramona Reiser (Linke), die für das Bezirksamt die Verhandlungen im Rechtsstreit mit dem Eigentümer führt, kündigte in der digitalen Januar-Sitzung der Bezirksverordneten an, nicht auf das Vergleichsangebot des Berliner Verwaltungsgerichts eingehen zu wollen. „Alle aktuellen Angebote des Eigentümers sind nicht akzeptabel“, sagte Reiser. „Eine Einigung ist nicht in Sicht.“ Auch Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) wirkte entschlossen. Es sei nicht sinnvoll, sich auf die Vorschläge des Eigentümers einzulassen. „Das wäre das falsche Signal für andere Hauseigentümer und Investoren“, so Gothe.

Sven Diedrich von der Linksfraktion zeigte sich von der klaren Ansage überrascht. „Vor drei Wochen hörte sich das noch ganz anders an, da wollte das Bezirksamt den Vergleich um jeden Preis.“ Die Linken hatten das Thema Habersaathstraße in der BVV für die thematische Stunde angemeldet und gemeinsam mit den Grünen einen Antrag unter der Überschrift „Keine faulen Kompromisse in der Habersaathstraße“ auf die Tagesordnung gesetzt.

Durch alle Instanzen

Mit der Drucksache forderten beide Fraktionen das Bezirksamt auf, die von den Eigentümern des Wohngebäudes beantragte Zweckentfremdung (Abriss und Neubau) auf dem Weg der Vergleichsverhandlungen nur dann zu erteilen, wenn die Eigentümerin unter anderem „bedingungslos die 106 Wohnungen als schützenswerten Wohnraum akzeptiert, 106 Ersatzwohnungen in vergleichbarer Größe der bisherigen Wohnungen für eine maximale Nettokaltmiete von 7,92 Euro pro Quadratmeter errichtet und für 20 Jahre nach Errichtung der Ersatzwohnungen auf Einzeleigentum verzichtet“. Sollte dieser Vergleich nicht so zustande kommen, soll das Bezirksamt die Gerichtsverhandlungen durch alle Instanzen hinweg führen. Der Antrag ging in der BVV mehrheitlich durch. Die 39-Ja-Stimmen kamen von Linke, SPD, Grüne und AfD (1). CDU, FDP und AfD votierten mit zusammen elf Nein-Stimmen dagegen, zwei Bezirksverordnete (FDP) enthielten sich.

„Damit haben wir uns und den Mietern etwas Luft verschafft. Das Haus wird so schnell nicht abgerissen“, kommentierte Sven Diedrich. „Wir hoffen aber natürlich, dass es dauerhaft erhalten bleibt.“ In Mitte gebe es schließlich einen riesigen Bedarf an preiswertem Wohnraum, vor allem für Geringverdiener. Das habe eine aktuelle Studie zur Wohnversorgung im Bezirk bestätigt. „Es kann also nicht sein, dass über 100 Wohnungen im Bezirk leer stehen oder gar abgerissen werden. Schützenswerter Wohnraum darf nicht verloren gehen.“ Frank Bertermann (Grüne) und Sascha Schug (SPD) sahen das ähnlich. „Das Bezirksamt sollte dem Deal mit dem Eigentümer nicht zustimmen. Die Habersaathstraße muss für preiswerten Wohnraum erhalten bleiben, kämpfen Sie dafür“, forderte Bertermann die beiden Stadträte in der BVV auf. Und Sascha Schug wünschte dem Bezirksamt „viel Erfolg vor Gericht“.

Präzedenzfall im Kampf für
preiswerten Wohnraum

Der ehemalige Schwesternwohnblock der Charité (Papageienplatte) sorgt seit 2018 für Streit zwischen Mietern, Investor und dem Bezirksamt – und ist zum Präzedenzfall im Kampf für preiswerten Wohnraum geworden. Der Besitzer, die Arcadia Estates GmbH, will den Plattenbau aus den 1980er Jahren gegenüber dem Hauptsitz des Bundesnachrichtendienstes abreißen lassen und dort Luxuswohnungen bauen. Das Bezirksamt verweigerte dem Eigentümer jedoch die Abrissgenehmigung. Es sieht das Gebäude als „schützenswerten Wohnraum“ an. Die Verordnung zum Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetz regelt, dass in diesem Fall bei Abriss angemessener Ersatzwohnraum zu maximal 7,92 Euro pro Quadratmeter (nettokalt) geschaffen werden muss. Diese Mietobergrenze hatte das Berliner Verwaltungsgericht jedoch in einem anderen Fall bereits gekippt.

Darauf stützte sich der Hausbesitzer und verweigerte zunächst entsprechende Vorgaben, schlug dann aber vor, den schützenswerten Status akzeptieren und entsprechend Ersatzwohnraum stellen zu wollen. Das Angebot ging dem Bezirksamt aber nicht weit genug. Seit vergangenem November liegt nun ein Vergleichsangebot des Verwaltungsgerichtes vor. Demnach darf der Eigentümer abreißen und neu bauen. Im Gegenzug stellt das Bezirksamt Bedingungen wie möglichst niedrige Mieten, hoher Anteil von Sozialwohnungen, Verbleib von Altmietern im Neubau, Abfindungen und Umwandlungsverbot in Eigentum für mindestens 30 Jahre. Lehnt der Bezirk den Vergleich ab, dürfte das Verwaltungsgericht den Anspruch des Besitzers auf Erteilung einer Abrissgenehmigung bestätigen. Der Fall könnte dann durch weitere Gerichtsinstanzen gehen.

In der Habersaathstraße stehen inzwischen 85 der 106 Wohnungen leer. Ein Großteil der Bewohner ist ausgezogen, allen Parteien wurde gekündigt. Die Restmieter hatten ein Angebot des Eigentümers auf Abfindung bei Auszug abgelehnt. Gegen den Leerstand und möglichen Abriss des Wohngebäudes protestieren wie berichtet auch die Initiative „Leerstand Hab ich Saath“ und der Mieterbeirat.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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