"Selbstverkehrung christlichen Lebens"
Auf dem Friedhof Jerusalem V hat die Kirche zur Nazi-Zeit ein Zwangsarbeiterlager betrieben

Am Volkstrauertag war die fast fertige Gedenkstätte zum ersten Mal geöffnet. | Foto:  Schilp
5Bilder
  • Am Volkstrauertag war die fast fertige Gedenkstätte zum ersten Mal geöffnet.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Am 13. November, dem Volkstrauertag, wurde auf dem Friedhof Jerusalem V an der Hermannstraße eines dunklen Kapitels der Kirchengeschichte gedacht. Dort befand sich von 1942 bis 1945 ein Zwangsarbeiterlager, an das bald eine Gedenkstätte erinnern soll.

Mehr als 100 Männer, verschleppt vor allem aus der Ukraine, waren in engen Baracken untergebracht. Sie schufteten auf Friedhöfen, einige auch in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Das Zwangsarbeiterlager war damals wahrscheinlich das einzige in ganz Deutschland, für das die Kirche verantwortlich zeichnete. Etliche Berliner Gemeinden, 39 evangelische und drei katholische, beteiligten sich an der Ausbeutung der 15- bis 60-jährigen Männer.

„Wir müssen uns die Perversion vor Augen führen. Christen betreiben organisiert ein Zwangsarbeiterlager. Sie lassen Menschen für ihren eigenen Profit arbeiten, sie lassen sie auf Friedhöfen Gräber ausheben. Es ist der Abgrund, die Selbstverkehrung christlich-kirchlichen Lebens, Anspruchs, Botschaft“, sagte Bischof Christian Stäblein in seiner Rede.

Zeitzeugen verstorben

Bereits vor 20 Jahren gründete sich die „Arbeitsgemeinschaft Zwangsarbeit“ und begann mit der Aufarbeitung. Es galt, historische Quellen zu finden und das Geschehene aus Sicht der Opfer zu rekonstruieren und darzustellen. „In elf Fällen ist es uns gelungen, Kontakt zu ehemaligen Zwangsarbeitern herzustellen“, so Wolfgang Krogel, Direkter des evangelischen Landeskirchenarchivs. Die Männer erzählten von schlimmen Erlebnissen, dem mühseligen Alltag, stellten Tagebuchaufzeichnungen zur Verfügung. Heute lebt keiner dieser Zeitzeugen mehr.

Schon seit 2010 erinnert eine Ausstellung im ehemaligen Blumenpavillon auf dem benachbarten Thomas-Friedhof an sie und ihre Leidensgenossen. Doch die Arbeitsgemeinschaft wollte mehr, nämlich eine Gedenkstätte an Ort und Stelle. Auf dem rund 3000 Quadratmeter großen Gelände wurden Ausgrabungen gemacht und Fundamente freigelegt, manche erstaunlich intakt. Es gab unter anderem einen Kartoffelkeller und Holzschuppen, eine Wirtschaftsbaracke und vier Unterkünfte, die gerade einmal dreieinhalb Quadratmeter Platz pro Mann boten. Auch der Spittergraben wurde freigelegt, in die sich die Lagerinsassen bei Bombenangriffen ducken sollten. Luftschutzkeller waren für „Ostarbeiter“ verboten. Tatsächlich schlugen mehrere Bomben auf dem Gelände ein, glücklicherweise tagsüber, als die Insassen ihren Sklavendienst taten. Anderenfalls hätte es Todesopfer gegeben.

Eröffnung am 24. April

Die Gedenkstätte ist noch nicht ganz fertig, die bekannten Schwierigkeiten während der Corona-Krise haben für Verzögerungen gesorgt. In den nächsten Wochen jedoch werden 25 Stelen errichtet, die an die Zwangsarbeiter erinnern, weitere Info-Tafeln mit QR-Codes aufgestellt und noch viele andere Arbeiten erledigt. Für die Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich soll das Areal ab dem 24. April sein. An diesem Tag wird der Befreiung des Lagers im Jahr 1945 gedacht. Geplant ist, dass das Gelände dann täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet ist. Auch Führungen wird es geben.

Zu erreichen ist die Gedenkstätte über den Grünen Weg, der zwischen dem Anita-Berber-Park und dem Friedhof Jerusalem V, Hermannstraße 84, verläuft.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

29 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 244× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 1.004× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 658× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.147× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 2.033× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.