Seine Muse ist der Zufall
Maurus Knowles arrangiert Dinge, die er auf der Straße findet, zu Kunstwerken

Selbstporträt mit Schaufensterpuppenarmen. "Ich liebe Hände", so der Künstler. | Foto:  Maurus Knowles
13Bilder
  • Selbstporträt mit Schaufensterpuppenarmen. "Ich liebe Hände", so der Künstler.
  • Foto: Maurus Knowles
  • hochgeladen von Susanne Schilp

„Ich kann nicht anders, so etwas muss ich mitnehmen“, sagt Maurus Knowles und zeigt eine Blüte einer kleinen Stoff-Mohnblume. Der Künstler stöbert fast alle seine Materialien bei Streifzügen durch die Kieze auf. „Straßengold“ nennt er die Fundstücke und sich selbst einen „Savage artist“.

Savage, das bedeutet „bergen“ oder „erhalten“. Für Knowles haben auch die Dinge ein Wesen und seine Muse ist der Zufall. Was er findet oder ihm geschenkt wird, arrangiert er zu kleinen oder größeren Skulpturen. „Eigentlich male ich mit Sachen“, sagt er.

Besonders liebt er Stühle, Schubladen und Puppen. Die Schubladen verwandelt er in kleine Bühnen, die Stühle bekommen ihnen fremde Rollen zugewiesen, sie dürfen weder stehen noch zum Sitzen dienen. Und die Puppen sind „Platzhalter fürs Ich, Du oder Wir. Zum Beispiel in abstrakten Landschaften“, so Knowles.

Schafensterpuppe mit rostiger Haut. "Rost und Moos sind meine Lieblingsfarben", sagt Maurus Knowles. | Foto: Schilp
  • Schafensterpuppe mit rostiger Haut. "Rost und Moos sind meine Lieblingsfarben", sagt Maurus Knowles.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Er arbeitet viel mit Spachtelmasse, Tiefengrund und Kleister, das sind die einzigen Sachen, die er kauft. Einen Titel für das jeweilige Objekt hat er oft schnell. „Damit sage ich am ehesten, was es ist. Mit Worten ist es kaum auszudrücken“, sagt er. Am besten sei er, wenn er den Perfektionisten in sich austrickse und nicht denke. Zum Beispiel habe er sich einmal geärgert, als ihm ein Puppenkopf mehrmals auf den Boden fiel. Doch dann habe er gesehen: Die Risse gehören dazu. „Vermeintliche Fehler, vermeintliches Scheitern finde ich ganz wunderbar.“ Das meiste mache er ohnehin zum ersten Mal und wisse nicht, ob es funktioniere. Beglückend sei es, „wenn mir gelingt, etwas zu erzählen, was ich noch nicht wusste.“

Zaunpfahl aus den Ardennen

Material für seine Kunstwerke hat Maurus Knowles haufenweise, und es wird immer mehr. Als Freund des ehemaligen Hausmeisters durfte er in Kellern stöbern, alte Kuchenpappen eines Bäckers bergen, die skurrile Werbetafel eines Bestatters und vieles andere mehr. Oder ein Freund brachte ihm einen Zaunpfahl aus den Ardennen mit, der zu einer Skulptur werden will.

Blick auf den Materialtisch. | Foto: Schilp
  • Blick auf den Materialtisch.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Etliches kommt erst nach Jahren zum Einsatz. Doch manchmal passt es zeitlich perfekt. So hat sich Knowles erst kürzlich vorgenommen, etwas zum Thema Queerness zu machen. Und gerade da schenkte ihm ein guter Bekannter Schaufensterpuppen, darunter sechs Jugendliche, denen ihr Geschlecht nicht eindeutig anzusehen ist. Sie werden bald über fliegenden Stühlen zu sehen sein. Der deutsch-englische Titel: „Don’t tell me who I am / Zwischen den Stühlen“. Im Herbst sind sie Teil seiner Ausstellung in einer Moabiter Kunstgalerie.

Einer der großen Kunststoffpuppen hat er „eine richtige Haut verpasst, die Inneres mit Äußerem verbindet“, so Knowles. Die untere Schicht besteht aus plattgewalzter Stahlwolle, darüber legen sich in Streifen geschnittene Blätter aus der „Roten Liste“, dem deutschen Arzneimittelverzeichnis – ebenfalls gefunden auf der Straße. Zuletzt hat der Künstler mehrfach sauren Tapetenkleister aufgetragen. Das Resultat: Rost schlägt durch die neue Haut. Der Betrachter ist frei zu interpretieren.

Buchhändler und Buchhalter

Kunst zu machen ist seit 2007 ein wichtiger Teil in seinem Leben. Doch ausschließlich widmet er sich ihr erst seit wenigen Jahren. Lange war der ausgebildete Buchhändler und Buchhalter in der Kultur- und Medienbranche tätig – so in einer Schauspieleragentur, beim Film, beim schwulen Buchladen „Männerschwarm“ in Hamburg. Doch dann wollte er raus aus dem Angestelltenleben. Zusammen mit seinem Mann eröffnete er im Jahre 2016 das „Ludwig“ in der Anzengruberstraße 3.

Eine Adresse mit Tradition. Denn dort gab es von Anfang an, seit 1909, eine Kneipe. Sich der Historie bewusst, investierten die beiden viel Zeit und Kraft in die Sanierung. Das Ludwig – nach dem Vornamen des Schriftstellers Anzengruber – war eine Kunstkneipe mit Lesungen, Musik, Drag-Shows und durchgehend mit Ausstellungen. „Die Ausstellungen waren mein Herzensanliegen. Ich war gleichzeitig Kurator, Eventmanager und Wirt, die geilste Zeit meines Lebens“, so Knowles.

Maurus Knowles mit drei Teenager-Puppen. | Foto: Schilp
  • Maurus Knowles mit drei Teenager-Puppen.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Doch das Konzept ging finanziell nicht auf. „Wir hatten und haben eine gewisse Verachtung für die sogenannte Kunstszene und keine Lust auf Schnöselpublikum. Wir hatten auch nicht die Erwartung, viel zu verkaufen, sondern wollten die Leute einfach an Kunst heranführen“, erzählt Knowles. Das bedeutete: Damit einerseits auch die Nachbarn kommen, durften die Getränkepreise nicht zu hoch sein, andererseits sollte der Tresenumsatz das künstlerische Programm finanzieren – und die hohe Miete. Es klappte nicht, das Ludwig musste 2019 schließen. Knowles brauchte danach eine ganze Zeit lang, um sich zu berappeln. Trotzdem sei es gut gewesen, sagt er. „Es kamen Kunstinteressierte, die sich darüber freuten, unter acht Weinen wählen zu können, und gleichzeitig Leute von nebenan, die geguckt haben, was da gerade an der Wand hängt.“ Auch wenn beispielsweise der Anblick eines riesigen halbnackten Mannes für manchen ungewöhnlich war. „Aber Kunst soll ja vielleicht auch irritieren.“

Maurus Knowles wohnt nicht weit entfernt von seiner ehemaligen Kneipe. Und er hat das Glück, eine große Wohnung zu haben, in der überall seine fertigen und halbfertigen Kunstwerke stehen und hängen. Manchmal allerdings wünscht er sich ein eigenes Atelier, aber bei den hohen Mieten würde für ihn der ökonomische Druck steigen, seine Kunst zu verkaufen. Und das will er nicht. „Schön wäre ein Atelier aber schon. Das geht vielen Künstlern so. Hätten sie ein bisschen mehr Platz, wäre der Effekt groß.“

Mehr über Marus Knowles zu erfahren ist auf instagram.com/jemand_aus_rixdorf.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

29 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 219× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 983× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 645× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.133× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 2.021× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.