Neuköllns neue Bürgermeisterin über Kreative, Kitaplätze und Kopftuch tragende Lehrerinnen
Fünf Jahre lang waren Sie als Stadträtin für das große Thema Bildung zuständig. Fällt es Ihnen schwer, dieses Ressort in andere Hände zu geben?
Franziska Giffey: Ich war mit großer Freude und Leidenschaft Bildungsstadträtin. Es war immer mein Wunschressort. Es erfüllt mich mit Stolz, welche Dinge ich in den letzten fünf Jahren angeschoben habe. Von den 62 Schulen in Neukölln sind 44 Brennpunktschulen. Darum muss man sich mit ganzer Kraft kümmern. Wir haben eine gute Abteilung in Neukölln, für die wir einen ebenso guten Stadtrat brauchen. Den haben wir mit Jan-Christopher Rämer gefunden, davon bin ich überzeugt. Ich bin aber ja nicht aus der Welt, denn Bildung und Integration bleiben die beiden wichtigsten Themen des Bezirks, um die sich eine Bezirksbürgermeisterin kümmern muss und will.
Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrem neuen Ressort Wirtschaft und Finanzen, das sie mit dem Bürgermeisteramt übernehmen?
Franziska Giffey: Zunächst geht es darum, bis zum Herbst den Bezirkshaushalt für 2016/17 aufzustellen. Für unsere Wirtschaftsförderung sind die Start-up-Szene und die Kreativwirtschaft sehr wichtig. Dafür, dass die Kreativen und jungen Unternehmer hier auch bleiben wollen, müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen. Der entscheidende Moment ist immer, wenn sie Kinder haben, die in die Schule kommen. Dann stellt sich die Frage, ob sie bleiben oder gehen. Das ist der Knackpunkt: Wir brauchen gut schulische Angebote. Für die künftige Arbeit wird es ein wichtiger Schwerpunkt, Unternehmensansiedlungen voranzubringen. Wir wollen vermitteln: Wir sind nicht nur Problembezirk, wir sind auch Innovationsbezirk. Aus ganz Europa kommen Leute, um sich wichtige Projekte anzusehen, wie den Campus Rütli. Auch der neue Flughafen wird für Neukölln sehr wichtig werden. Wir müssen dringend Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Leute anbieten. Es muss sich etwas daran ändern, dass über 2000 junge Menschen unter 25 Jahren keine Beschäftigung haben und dass in jedem Jahrgang mindestens 300 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen. Ohne eine ausreichende frühkindliche Förderung ist eine erfolgreiche Vorbereitung auf den Schulbesuch aber nicht möglich. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ausreichend Kitaplätze zur Verfügung stellen.
Sie haben sich sehr kritisch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts geäußert, in dem das Kopftuchverbot für Lehrerinnen gelockert wurde. Warum halten Sie es für problematisch?
Franziska Giffey: Das Neutralitätsgebot der öffentlichen bekenntnisoffenen Schule ist ein sehr hohes Gut. Die Lehrerin hat eine Vorbild- und Erziehungsfunktion, steht im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens und ist auch für viele Schüler eine Identifikationsfigur. Das Kopftuch ist hier eben nicht nur ein banales Kleidungsstück, sondern Symbol für eine konservative Art, die Religion auszuüben. In einer Situation, wo wir in den Schulen Kinder aus aller Herren Länder haben mit unterschiedlichen Hintergründen ist es noch wichtiger, dass Lehrerinnen sich neutral verhalten und neutral aussehen. Das Land Berlin hat das Neutralitätsgebot gesetzlich klar geregelt. Das Urteil sagt zudem, wenn der Schulfrieden gefährdet ist, kann der Schulleiter entscheiden, dass das Kopftuch nicht getragen wird. Aber wann ist der Schulfrieden gefährdet? Wollen wir dann jeden einzelnen Fall neu verhandeln? Das ist eine Verlagerung des Problems an die Schulleiter.
Im Gegensatz zu Ihrem Amtsvorgänger Heinz Buschkowsky sind Sie keine gebürtige Neuköllnerin, sondern eine Zugereiste. Ärgert Sie das ein bisschen?
Franziska Giffey: Ich teile dieses Schicksal mit vielen Neuköllnern und ich kann es nicht ändern. Trotzdem glaube ich, dass auch diejenigen, die hier nicht geboren und aufgewachsen sind, einen wichtigen Beitrag leisten können. Das kann man schon an der Geschichte der zugewanderten böhmischen Glaubensflüchtlinge sehen, die Rixdorf geprägt haben. Auch die, die jetzt neu kommen, haben viel Positives zu geben. Leuten, die unsere Regeln verletzen oder unser Bild von einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft nicht teilen, muss man allerdings ganz klar etwas entgegensetzen. Für alle, die hierher kommen, muss gelten: Unser Boden ist das Grundgesetz. Wer sich darauf bewegt, kann auch den Bezirk mitgestalten. Allen anderen, insbesondere den Hasspredigern, muss man klar entgegentreten.
Eine neue Studie zeigt ja, dass sich sehr viele Menschen in Neukölln wohl fühlen. Überrascht Sie das?
Franziska Giffey: Das zeigt erstens, dass Neukölln mehr ist als die Summe seiner Probleme und zweitens besser als sein Ruf. Neukölln ist ein innovativer Bezirk mit extrem viel Potenzial und sehr spannend. Hier kann man noch was machen, hier ist Wandel und Veränderung und noch nichts festgefahren. Wir können vor den Problemen nicht die Augen verschließen, aber es gibt auch eine ganze Reihe positiver Entwicklungen.
Autor:Sylvia Baumeister aus Neukölln |
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