"Alles, was wir tun, tun wir für alle"
Die Behindertenbeauftragte Katharina Smaldino über marode Wege und Streit um Aufzüge

Katharina Smaldino ist als Tochter eines Ägypters und einer Berlinerin in Reinickendorf aufgewachsen. Mit Beginn ihres Sozialpädagogikstudium zog sie nach Neukölln. Die Pflege der Eltern hat sie schließlich nach Tempelhof verschlagen.  | Foto: Schilp
  • Katharina Smaldino ist als Tochter eines Ägypters und einer Berlinerin in Reinickendorf aufgewachsen. Mit Beginn ihres Sozialpädagogikstudium zog sie nach Neukölln. Die Pflege der Eltern hat sie schließlich nach Tempelhof verschlagen.
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Seit 2002 gibt es Behindertenbeauftragte in den Bezirken. Damals kam Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) auf Katharina Smaldino zu und bot ihr die Stelle an. Nach kurzem Zögern willigte sie ein – und warf sich mit Elan in die Arbeit. Das hat sich nicht geändert. Jeden Tag sitzt sie pünktlich um 6 Uhr am Schreibtisch. Reporterin Susanne Schilp hat mit ihr gesprochen.

Frau Smaldino, mehr als 60 000 Neuköllner haben einen Grad der Behinderung anerkannt bekommen. Das ist fast jeder Fünfte. Kommen Sie da ins Grübeln, wenn Sie sich den schlechten Zustand der Gehwege anschauen?

Katharina Smaldino: Es gibt eine Menge aufzuarbeiten, und wir sind mit voller Kraft dabei. Neukölln ist meines Wissens der einzige Bezirk, der eine ganz spezielle E-Mail-Adresse hat. Unter barrierefrei@bezirksamt.neukoelln.de kann uns jeder mitteilen, welche Barrieren im öffentlichen Straßenland beseitigt werden sollten. Mich erreichen täglich Schreiben, in denen es um Bordsteinabsenkungen, Baumwurzeln, die das Pflaster hochzudrücken, und Ähnliches geht. Das ist gut so, die Leute sollen Wünsche äußern. Leider können wir nicht überall gleichzeitig sein, die Liste wird aber konsequent abgearbeitet. Gemeinsam mit dem Tiefbauamt achte ich darauf, dass im Norden und im Süden des Bezirks zügig etwas passiert, da soll es gerecht zugehen.

Laut Senat soll Berlin 2020 barrierefrei sein. Sehen Sie das?

Katharina Smaldino: In Mitte vielleicht, aber nicht bei uns. Wir stehen auf der Prioritätenliste nicht oben. Wie lange habe ich mir den Mund fusselig geredet, bis die Aufzüge an den U-Bahnhöfen Karl-Marx-Straße, Britz-Süd und Parchimer Allee kamen? Oder die neue Clayschule in Rudow: Dort wollten wir vier Aufzüge, nur einer sollte genehmigt werden. Und das in einer sport- und musikbetonten Schule, wo oft jemand verletzt und auf Krücken angewiesen ist. Was habe ich mit den Verantwortlichen gestritten: Der „Normale“ kann jeden Aufgang benutzen, der behinderte Mensch soll durchs ganze Gebäude? Ist das Gleichbehandlung?

Inklusion braucht Investitionen

Wie ist die Sache ausgegangen?

Katharina Smaldino: Jetzt werden zwei Aufzüge gebaut, aber vier Schächte angelegt, sodass nachgerüstet werden kann. Immerhin. Ich erwarte von der Senatsverwaltung, dass nicht nur von „Inklusion“ geredet wird, sondern auch das Geld dafür fließt. Dafür streite ich.

Reden Sie bei allen Neubauvorhaben mit?

Katharina Smaldino: Ja, ich arbeite eng mit dem Straßen- und Grünflächenamt und dem Bauamt zusammen, das klappt hervorragend. Die Vorschriften besagen: Wer Gebäude mit mehr als zwei Wohnungen baut, muss dafür sorgen, dass ein Drittel barrierefrei ist, ab 2020 sogar die Hälfte. Das Treppenhaus, die Türen müssen breit genug sein, die Dusche ebenerdig. Gut ist, wenn die Fenster umrüstbar sind, sodass sie auch ein Rollstuhlfahrer oder ein Mensch mit Kleinwüchsigkeit öffnen kann. Bei Altbauten ist das Ganze schwieriger, da bin ich durchaus kompromissbereit.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Katharina Smaldino: Jemand baut ein Dachgeschoss aus, der Aufzug ist außen am Haus und erreicht nur die Zwischenpodeste und nicht die Wohnungstür. Da wäre es doch widersinnig, wenn ich auf eine barrierefreie Ausstattung des neuen Apartments bestehen würde. Oder: Die Sparkasse zieht um und hat nun eine Stufe vor der Tür. Da muss es dann eine Klingel geben, die der Behinderte betätigen kann, damit jemand kommt und eine Rampe ausklappt. Dies setzt natürlich voraus, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitziehen. Klappt das nicht, gehe ich hin und versuche, eine Lösung zu finden.

Barrierefreiheit nutzt allen

In welchen Fällen hört das Verständnis auf?

Katharina Smaldino: Wenn klar diskriminiert wird. Wenn der Kneipier oder der Hostel-Betreiber sagt: „Behinderte gehören nicht zu meiner Zielgruppe, nicht zu meinen Kunden“, dann bin ich stur. Was mir wichtig ist: Alles, was wir tun, tun wir für alle. Ein barrierefreies Zimmer im Hostel ist auch gut für jemanden mit einem gebrochenen Bein, ein abgesenkter Bordstein ist auch für Eltern mit Kinderwagen wichtig.

Viele alte Menschen brauchen Unterstützung und Pflege. Haben sich die Bedürfnisse im Laufe der Zeit verändert?

Katharina Smaldino: Eines meiner Prinzipien ist: Rede mit den Menschen, frage sie, was sie wollen. Vor Jahren wurde beispielsweise noch gesagt, dass muslimische Senioren unter sich bleiben wollen, man sprach über Gebetsräume und so weiter. Heute mache ich die Erfahrung, dass kaum jemand in eine Extra-Einrichtung will. In den Pflegeheimen wird auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen geachtet. Da ist es egal, ob er kein Schweinefleisch isst oder sich vegan ernährt. Oder: Es gibt Männer, nicht nur Muslime, die wollen nicht von einer Frau gewaschen werden. Die Pflegedienste sind da offen und wollen mehr Männer einstellen – allerdings fehlt es zugegebenermaßen an Personal. Und die Zeit, dass sich Senioren mit Bingospielen zufrieden geben, scheint auch zu Ende zu gehen.

Welche Alternativen gibt es da?

Katharina Smaldino: Eine Neuköllner Einrichtung hat mich auf digitale Möglichkeiten aufmerksam gemacht. Es gibt Brillen für Demenzkranke, die die Orte der Kindheit an den Augen vorbeiziehen lassen oder ein Roboter, der sich mit ihnen unterhält oder ein Wii-Bowlingsspiel für Rollstuhlfahrer. Klar, das ersetzt nicht menschlichen Kontakt. Aber es kann Angehörige entlasten und sie darüber staunen lassen, dass manchmal wenig reicht, um Vater oder Mutter zu beschäftigen. Diese Ideen will ich nach draußen tragen. Dazu wird es bald eine Veranstaltung geben.

Entgegen den Klischees

Apropos Veranstaltung. Was steht als Nächstes an?

Katharina Smaldino: Am 5. Mai ist der „Europäische Protesttag der Gleichstellung der Menschen mit einer Behinderung“. Einen Tag zuvor, am 4. Mai, wird deshalb etwas im Britzer Garten passieren. Die Vorbereitungen laufen, mehr verrate ich noch nicht. Außerdem organisiert dort der Sportclub Lebenshilfe wieder einen Lauf für jedermann. Er wird bewusst nicht „Inklusionslauf“ genannt, das schreckt ab, vor allem die Behinderten. „Laufstrecke barrierefrei“ reicht. Bei dieser Veranstaltung wird immer klar, wie sehr viele Leute Behinderung ausschließlich mit Rollstuhl oder starker geistiger Einschränkung verbinden. Aber dort laufen auch Gehörlose, seelisch Kranke, Menschen, denen man nichts ansieht. Da wundert sich schon der ein oder andere, wenn der „Behinderte“ schneller als er selbst ist.

Seit 17 Jahren sind Sie Behindertenbeauftragte. Wollen Sie nicht einmal etwas anderes machen?

Katharina Smaldino: Nein, ich erweitere jeden Tag meinen Horizont, unterhalte mich mit den Leuten, will erfahren, was sie interessiert. Allerdings: Wenn ich aufhöre, mich über Ungerechtigkeiten aufzuregen, dann höre ich auf.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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