Potenzielle Gewerbeflächen aktivieren
Gewerbetreibende im Bezirk klagen über immer weiter steigende Mieten
Sie wünsche sich einen regulierenden Eingriff, damit Eigentümer mit ihren Immobilien „normal“ umgingen, so Bürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD). Zum letzten Mal hatte das Quartiersmanagement im Schöneberger Norden zu „Gewerbegesprächen“ eingeladen.
„Gewerbemieten – wohin geht die Reise?“ lautete die Frage an die Runde. Neben Bürgermeisterin Schöttler und Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne) saßen Nicolas Jeissing, Geschäftsführender Gesellschafter Engel& Völkers Commercial Berlin, Constantin Terton, Abteilungsleiter für Wirtschaftspolitik bei der Handwerkskammer Berlin, und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) auf dem Podium.
Die Gewerbemieten sind unter Druck. Manche sagen, sie seien in den vergangenen zehn Jahren um bis zu 200 Prozent gestiegen, andere sprechen von „nur“ 65 Prozent.
Warum die Preise steigen, erläuterte Nicolas Jeissing. Berlins Wirtschaft boome. Firmen von Hongkong bis New York zögen an die Spree. 2019 sei eine Million Quadratmeter Büroflächen nachgefragt worden, die größte Nachfrage aller Zeiten. Gebaut werden müssten jährlich 500 000 Quadratmeter, in Wirklichkeit entstünden aber nur 200 000. Nicht sehr verwunderlich also, dass Preise bis zu 38 Euro je Quadratmeter verlangt würden. Wer Büroräume suche und keine finde, weiche auf Ladengeschäfte aus und werde so zum Konkurrenten von kleinen Gewerbetreibenden und Einrichtungen wie Kitas. In der Potsdamer und ihren Seitenstraßen sei die Entwicklung jedoch nicht dramatisch, so Jeissing.
Kleinbetriebe ohne finanziellen Puffer
Derweil sah Constantin Terton von der HWK graue Wolken am Konjunkturhimmel aufziehen. Weit über 40 Prozent der 30 000 Berliner Betriebe – zehn Prozent sitzen im Bezirk – gehören dem Baugewerbe an. Und für sie, so Terton, verschlechterten sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen.
Andere Zahlen, in einer HWK-Umfrage 2019 in den Bezirken erhoben, versprechen auch nichts Gutes. Weit mehr als die Hälfte aller Tempelhof-Schöneberger Betriebe sind Kleinbetriebe mit bis zu neun Mitarbeitern. 83 Prozent davon haben ihre Gewerbefläche angemietet. Einen finanziellen Puffer haben sie kaum. Constantin Terton: „Ein Unternehmen, das heute für den Quadratmeter neun Euro zahlt, kann morgen keine 22 Euro zahlen.“ Solche Preise würden inzwischen aufgerufen.
Der HWK-Vertreter forderte einen Gewerbebeauftragten für Berlin, weil es gelte „integriert zu denken“, und die Unterstützung von Gewerbehöfen mit Mischgewerbe, wie sie die landeseigene Wista Management GmbH betreibt.
Bürgermeisterin Angelika Schöttler als Leiterin der bezirklichen Wirtschaftsförderung hat festgestellt, dass ein Umzug eine Investition bedeutet, die viele Betriebe nicht stemmen können. Mit der Folge, dass Unternehmen vom Markt verschwinden. Neben ihren schon genannten Forderungen nach staatlicher Regulierung plädierte die Bezirkschefin für den Erhalt von Gewerbe- und Industrieflächen, auch wenn der Wohnungsmarkt Druck erzeuge. Zudem, so Schöttler, werde eine landeseigene Gesellschaft für Gewerbebau benötigt.
Oltmann für neuen Fachbereich
Baustadtrat Jörn Oltmann legte schon die Instrumente der Zukunft zurecht: eine kooperative Baulandentwicklung, wie man sie vom Wohnungsmarkt kennt. 25 bis 30 Prozent der Neubaufläche sollen für kleine und mittelständische Unternehmen bezahlbar sein. Außerdem müsse die Verwaltung „hinausgehen“, um potenzielle Gewerbeflächen „zu aktivieren“ und Grundstücke „gemeinwohlorientiert zu entwickeln“. Oltmann stellt sich einen neuen Fachbereich für strategisches Flächenmanagement vor.
Justizsenator Dirk Behrendt stellte seine beiden Bundesratsinitiativen vor, die das freie Spiel der Kräfte auf dem Gewerbeimmobilienmarkt beenden wollen. Vorbild sind Frankreich und Österreich. Beim westlichen Nachbarn können Gewerbetreibende einen Mietvertrag für zehn Jahre zu denselben Konditionen abschließen. In der Alpenrepublik existiert ein Vergleichsmietensystem wie im Wohnungsmietrecht. Behrendts Initiativen ist bisher noch kein Erfolg beschieden gewesen. „Ich bleibe dran. Wir brauchen im angespannten Gewerberaum ein Ordnungsrecht“, so der Justizsenator.
Die CDU im Bezirk stellt zunächst fest, dass Gewerbe nicht gleich Gewerbe ist. „Jedes Gewerbe hat eine andere Ertragslage. Man kann eine McDonalds-Filiale nicht mit einem Schraubenladen vergleichen“, sagt der stadtentwicklungspolitische Sprecher der BVV-Fraktion, Ralf Olschewski. „Deshalb macht ein allgemeiner Gewerbemietspiegel keinen Sinn.“ Nach Auffassung der Bezirks-Union und des CDU-Bundestagsabgeordneten Jan-Marco Luczak sollten zum einen bei Neubau Gewerbeflächen in Erdgeschossen entstehen, zum anderen im Falle sozialer Einrichtungen wie einer Kita oder einer Wärmestube dem österreichischen Modell gefolgt werden.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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