Der Arbeitskreis Orientierungs- und Bildungshilfe hilft funktionalen Analphabeten
Kreuzberg. Wer nicht richtig lesen kann, hat es meist sehr schwer im Leben. Deshalb stellt die Berliner Woche im Rahmen der Aktion „Das geht uns alle an!“ Akteure und Organisationen vor, die sich dafür einsetzen, dass Menschen besser lesen können.
„Jetzt schaffe ich es, auch einmal ein Buch zu lesen.“ Der 52-jährige Lorenz ist stolz auf seine Leistung. Seit drei Jahren besucht er die Kurse beim Arbeitskreis Orientierungs- und Bildungshilfe. Lorenz gehörte bis vor drei Jahren zu den rund 300 000 Analphabeten in Berlin.
„Seit 1977 hilft der Arbeitskreis diesen Menschen, lesen und schreiben zu lernen“, erklärt Marsilia Podlech. In Deutschland gibt es nur sehr wenige Menschen, die überhaupt nicht lesen und schreiben können. Aber es gibt zahlreiche Menschen, die nur einfache Sätze oder kurze Texte schreiben und auch lesen können. „Das ist für den Alltag meist auch ausreichend.“ Für komplizierte Texte oder Fragebögen benötigen diese Menschen aber Hilfe von Freunden.
60 Kursteilnehmer
Drei Mitarbeiterinnen geben beim Arbeitskreis Orientierungs- und Bildungshilfe (AOB) in der Gneisenaustraße 2 A die Kurse. Der Arbeitskreis ist ein eingetragener Verein und wird vom Senat gefördert. Zur Zeit lernen hier 60 Kursteilnehmer. Zu ihnen gehört auch Lorenz. „Jetzt habe ich Zeit für den Unterricht“, erklärt Lorenz selbstkritisch. „Als Jugendlicher hatte ich immer keine Zeit und überhaupt keine Lust.“
Er hatte sich auch damit abgefunden, dass er nur wenig lesen und schreiben konnte. Das hatte aber auch zur Folge, dass Lorenz zwar als Tischler und Zimmermann arbeitete, aber nie einen Berufsabschluss machen konnte. Dafür reichten seine Kenntnisse nicht aus.
Heute sieht er das alles etwas anders. „Ich freue mich, dass ich durch diese Kurse mehr Selbstständigkeit gewonnen habe.“ Erst vor Kurzem konnte er die theoretische Prüfung für die Fahrerlaubnis ablegen. Für Lorenz ist das eine Belohnung für den Ehrgeiz, den er erst spät entwickelt hat. Nun hat er das Ziel, auch Fragebögen und Anträge selbst ausfüllen zu können.
„Die Berliner kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen zu uns“, erklärt Marsilia Podlech. Einige Kursteilnehmer werden vom Job-Center geschickt. Dann gibt es solche Menschen wie Lorenz, die auch im fortgeschrittenen Alter noch richtig lesen und schreiben lernen wollen. „Und es kommen vor allem Mütter zu uns, damit sie ihren Kindern bei den Schulaufgaben helfen können.“
Die Ausbildung läuft in drei Stufen. Die Schüler kommen an zwei Tagen in der Woche für jeweils zwei Stunden zum Unterricht. „Es ist hier aber nicht wie in der Schule“, sagt Marsilia Podlech. „Wir arbeiten bedarfsorientiert, stellen uns auf die Schüler ein.“ Das geht unkompliziert, denn die Gruppen sind sehr klein, sodass die Lehrer die Besonderheiten jedes Schülers berücksichtigen können. Mit jedem neuen Schüler wird zunächst ein ausführliches Beratungsgespräch geführt, um zu erkennen, wo Nachholbedarf besteht.
„Damit können wir dann einen Kurs für ihn finden.“ Viele Kursteilnehmer haben Schwierigkeiten, das gesprochene Wort aufzuschreiben. Dabei werden Buchstaben wie zum Beispiel ‚g’ und ‚k’ vertauscht. Andere kommen mit der Silbentrennung nicht zurecht. Vor allem aber haben viele Kursteilnehmer Schwierigkeiten, sich längere Zeit auf einen Text zu konzentrieren.
„Es ist ein langwieriger Prozess so einen Kurs durchzuhalten“, hat Marsilia Podlech festgestellt. Und so freut sie sich über solche Teilnehmer wie Lorenz, der auch nach drei Jahren noch mit Eifer dabei ist und auf Erfolge verweisen kann. KT
Autor:Klaus Teßmann aus Prenzlauer Berg |
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