Die Zeit läuft weiter
Originale Turmuhr der gesprengten Versöhnungskirche wird restauriert

Pfarrer Thomas Jeutner mit einem Kettenrad vom Aufzug. Jörg Hildebrandt war Uhrenwart und hat die Zeiger aus Protest gegen die Räumung 1961 auf fünf vor zwölf gestellt.  | Foto: Dirk Jericho
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  • Pfarrer Thomas Jeutner mit einem Kettenrad vom Aufzug. Jörg Hildebrandt war Uhrenwart und hat die Zeiger aus Protest gegen die Räumung 1961 auf fünf vor zwölf gestellt.
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Die Versöhnungsgemeinde hat die Spendenaktion „Gönn Dir eine Minute“ gestartet. Das Uhrwerk der gesprengten Versöhnungskirche steht seit 57 Jahren still. Zum 125. Gründungsjubiläum der alten Versöhnungskirche am 28. August 2019 soll die Uhr wieder laufen.

DDR-Vopos holten am 26. Oktober 1961 den „aufmüpfigen Pfarrerssohn vom Turm“, wie es im Polizeibericht von damals heißt. Gemeint ist Jörg Hildebrandt, der während der Räumungsaktion noch schnell auf den Kirchturm kletterte und die riesigen Zeiger als Zeichen des Protestes auf fünf vor zwölf stellte. Die Versöhnungskirche stand, wie seine Wohnung in der Bernauer Straße 4, mit der Grenzschließung am 13. August 1961 mitten im Mauerstreifen. Die Bewohner wurden zwangsumgesiedelt, die Häuser abgerissen. Der Journalist Jörg Hildebrandt, Ehemann der 2001 verstorbenen Brandenburger Sozialministerin Regine Hildebrandt, hatte sich als Uhrenwart ein paar Ostmark dazu verdient. Er hat für die Spendenaktion die Minuten von 11.55 bis 12 Uhr erworben. Seine Zeit.

Die Versöhnungsgemeinde will die symbolträchtige Uhr restaurieren. Die 30.000 Euro dafür sollen über die Spendenaktion „Gönn Dir eine Minute“ zusammenkommen. „Dadurch wird es ein gemeinsames Projekt vieler“, sagt Pfarrer Thomas Jeutner, der die Idee zur Turmuhrrestaurierung hatte. Jeder kann für 45 Euro eine Minute erwerben und bekommt dafür eine Urkunde.

Die Versöhnungskirche ist Symbol der brutalen Teilung, die auch die Gemeinde von jetzt auf gleich auseinander riss. Das Gotteshaus stand über zwei Jahrzehnte gespenstisch leer im Todesstreifen an der Bernauer Straße. Grenzsoldaten hielten vom Turm Ausschau. 1985 ließen die DDR-Oberen die 1894 errichtete Versöhnungskirche sprengen. Die Turmuhr und das Uhrwerk wurden vorher ausgebaut.

Das 200 Kilogramm schwere Uhrwerk wurde anfangs in der Sophienkirche gelagert. Als vor fünf Jahren die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße 111 saniert wurde, sollte Thomas Jeutner den Keller des einstigen Gemeindehauses leer räumen. Dabei fand er jede Menge Stangen, Zahnräder und Ketten – Teile der originalen Turmuhr. Das Zeug wurde in der Scheune eines Bauern in Lindenberg eingelagert. Als der es wieder loswerden wollte, kam Jeutner die Idee, das Uhrwerk zu restaurieren und die Uhr wieder zum Laufen zu bringen.

Die historische Turmuhr bekommt unweit der ehemaligen Versöhnungskirche einen neuen Ort. In der Kapelle der Versöhnung – der runde Lehmbau an der Stelle der gesprengten Kirche – war kein Platz. Ab August 2019 wird das Uhrwerk deshalb im Foyer des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung in der Caroline-Michaelis-Straße 1 am Nordbahnhof stehen.

Die Turmuhrspezialisten der Firma Bittner aus Neuenhagen sind bereits dabei, die mehrere hundert Teile zusammenzusetzen. Kein einfaches Puzzle, wie Holger Bittner sagt. Etliche fehlende Teile müssen nachgebaut werden. Zukünftig soll das massige Uhrwerk in einem Plexiglasgehäuse ticken. An der Wand drehen sich die Originalzeiger. Bittner muss sie allerdings um fünf Zentimeter einkürzen, denn das Zifferblatt ist nicht das originale. Die Turmuhr der Versöhnungskirche war so konstruiert, dass die Zahlen mit dem Turm verbunden waren. Wie Jeutner sagt, wurde zufällig auf dem Kirchturm der Ostberliner Zionskirche ein Zifferblatt gefunden. „Das ist unsere Schwesterkirche. Sie war Zentrum der DDR-Bürgerbewegung und ist Symbol der friedlichen Revolution“, sagt Jeutner und macht deutlich, dass das Zion-Zifferblatt gut passt.

Die restaurierte Uhr soll als Zeitzeichen wahrgenommen werden und zeigen, dass auch nach langem Stillstand eine neue Zeit anbrechen kann. „Man kann die Zeit nicht anhalten“, so Pfarrer Jeutner.

Alle Infos zum Projekt „Uhr der Versöhnung“ mit Bildern und Spendenkonto unter http://uhr-der-versöhnung.de.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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