Die Würde einer Gedenkstätte
Bezirk und Urheber des Mahnmals an der Levetzowstraße einigen sich auf erneute Umgestaltung

Gedenkstätte und Mahnmal an der Levetzowstraße: 2010 wurde der dahinterliegende Spielplatz so umgestaltet, dass er die Würde des Ortes verletzt. Das soll nun wieder korrigiert werden. | Foto: KEN
  • Gedenkstätte und Mahnmal an der Levetzowstraße: 2010 wurde der dahinterliegende Spielplatz so umgestaltet, dass er die Würde des Ortes verletzt. Das soll nun wieder korrigiert werden.
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Wo einst Berlins größte Synagoge stand, wird mit einer Gedenktafel aus dem Jahre 1960 und seit 1988 mit einer großen Skulpturengruppe an Verfolgung, Deportation und Vernichtung der Berliner Juden und an die Zerstörung ihrer Gemeindehäuser während der Nazizeit erinnert.

Erst in den 80er-Jahren begann die ehrliche Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels in der deutschen Geschichte. In Berlin wie in anderen Städten wurden die Geschehnisse mit Denk- und Mahnmalen sichtbar gemacht. So kam es, dass der Westberliner Senat 1985 einen Wettbewerb für eine Gedenkstätte Synagoge und Mahnmal Deportation am Ort der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 ausschrieb. 20 Teilnehmer reichten ihre Vorschläge ein. Gewinner war das Landschaftsarchitekturbüro Bappert & Wenzel und der Bildhauer Peter Herbirich. 1988 wurde das Denk- und Mahnmal eingeweiht.

An der Ecke Levetzow- und Jagowstraße stand die im April 1914 eingeweihte Synagoge. Direkt an sie angeschlossen war eine Religionsschule. Bis zu 2000 Menschen fanden in dem klassizistisch anmutenden Bau mit dem von Säulen getragenen Portikus Platz.

In der „Reichskristallnacht“ der Nazis 1938 wurde die Synagoge zwar angezündet, aber das Feuer „krepierte“, wie es der Wettbewerbssieger von 1985, der Landschaftsarchitekt Theseus Bappert erzählt. 1941 machten die braunen Verbrecher aus der Synagoge ein Sammellager für die Berliner Juden, die in die Vernichtungslager deportiert werden sollten. Bappert schätzt, dass insgesamt 32 000 Menschen in der Levetzowstraße durchgeschleust wurden zu den Zügen, die am Bahnhof Grunewald und am Güterbahnhof Moabit zum Transport in den Tod bereitstanden.

Bei einem alliierten Bombenangriff im Jahre 1945 wurden die Synagoge und die Religionsschule getroffen. Sie brannten aus. Zehn Jahre lang blieben sie als Ruinen stehen. Dann verkaufte die Jüdische Gemeinde das Grundstück an die Stadt. Der Bezirk Tiergarten räumte das Areal ab und errichtete darauf einen Spielplatz und Sportflächen.

Die blieben auch bestehen, als das Mahnmal entstand. Sie haben das Siegerbüro und den Bildhauer nie gestört. Das Mahnmal: vorne quergestellt ein wuchtiger Waggon auf Schienen aus „brutalem Gusseisen“ als Symbol für die Infrastruktur der Deportationen, die Deutsche Reichsbahn. Im Waggon sind „Menschenpakete“ sichtbar, ebenso eines auf einer Rampe zum Waggon, Sinnbild für Zigtausende deportierte Juden. Peter Herbirich hat sie in Carrara aus hellgrauem Marmor geschlagen.

Dahinter wiederum erhebt sich an der Stelle des einstigen Portikus eine leicht nach hinten geneigte elf Meter hohe Tafel aus Cortenstahl. In sie ist eine Liste der Transporte gestanzt: die 63 Deportationszüge mit Datum, Ziel und Zahl der verschleppten Menschen. Eine Baumhecke aus Hainbuchen wurde in den 80er-Jahren gepflanzt. Sie sollte ebenfalls auf elf Meter emporwachsen und die Fassade der Synagoge darstellen.

Gedenkstätte und Mahnmal Levetzowstraße sorgen gegenwärtig für viel Gesprächsstoff. Das bezirkliche Straßen- und Grünflächenamt hat gemeinsam mit den damaligen Wettbewerbsgewinnern Bappert und Wenzel ein Umgestaltungskonzept erarbeitet. Um Fehler zu berichtigen. Bei der Neugestaltung des Spielplatzes 2010 hat der Bezirk unter anderem die Hainbuchenhecke durch niedriges Buschwerk ersetzt, direkt hinter der riesigen Rosttafel eine bunte Kletterwand errichtet und die Spielanlage eingezäunt. Die Gedenkstätte geriet so in die Ecke, wurde marginalisiert.

Schusseligkeit oder Geschichtsvergessenheit? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Theseus Bappert und seine Kollegen haben bei dieser Urheberrechtsverletzung nicht zur juristischen Keule gegriffen, sondern sechs Jahre lang Briefe geschrieben, telefoniert und diskutiert.

Nun kann die Würde des Mahnmals wiederhergestellt werden. Die Kletterwand kommt weg. Dort durchquert man den Ort zum Spielplatz. Die Hecke wird neu gepflanzt und soll über die Jahre elf Meter hoch wachsen. Die Hainbuchen werden aber so geschnitten, dass das Laub erst in einer Höhe von ein bis zwei Metern wächst. Heutzutage gibt es andere Sicherheitsbedürfnisse für Kinderspielplätze. Diese Lösung hat Theseus Bappert in Versailles gesehen.

Preisgünstig wird das alles für das Straßen- und Grünflächenamt nicht. Aber die zuständige Stadträtin Sabine Weißler (Grüne) hat versprochen, in den nächsten Verhandlungen zum Doppelhaushalt mehr Geld für die Grünflächenpflege im Bezirk herauszuholen.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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