Gegen das Vergessen
Theaterprojekt „PAPILLONS“ bringt an Demenz erkrankte Menschen auf die Bühne
Viele gemeinnützige Organisationen haben sich der sozialen Hilfe und gesellschaftlicher Verantwortung verschrieben. Sie setzen dabei in ihrer ehrenamtlichen Arbeit auf unterschiedlichste Konzepte. Eines davon heißt „Empowerment“ und stellt die Lebensautonomie Hilfsbedürftiger in den Fokus.
Schon wieder ein neumodischer Begriff aus der Managersprache, dessen Übersetzung „Ermächtigung“ kaum das wiedergibt, was eigentlich dahinter steckt. „Helfen bedeutet nicht immer nur zu geben und zu nehmen. Bei unseren Empowerment-Projekten geht es darum, Ressourcen zu wecken, um die Fähigkeiten der Betroffenen, ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstbefähigung zu stärken“, erläutert Daniel Büchel, seit 17 Jahren Leiter des Freiwilligenmanagements des Unionhilfswerk, eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege in Berlin. Die Trägerstiftung seiner Organisation fördert und unterstützt seit Langem Menschen in vielen Bereichen. „Das reicht von Empowerment-Strategien bei der Begleitung von Geflüchteten, bei der Einbindung von Menschen mit Behinderungen zum Beispiel in der Beratung und Unterstützung von Opfern sexueller Gewalt über das Engagement inklusiver Helferteams bei Laufveranstaltungen bis hin zur Ausbildung von Mentoren für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien“, sagt Büchel.
Ein ganz besonderes Beispiel für ein erfolgreiches Empowerment-Projekt, so Büchel, stelle die Theatergruppe „Papillons“ aus dem Pflegewohnheim „Am Kreuzberg“ dar. Das 2016 gegründete Ensemble setzt sich aus überwiegend an Demenz erkrankten Akteuren und professionellen Künstlern zusammen und wird von der Regisseurin und Kulturwissenschaftlerin Christine Vogt geleitet.
Seit dem Tod ihrer eigenen Eltern in einem Pflegewohnheim beschäftigt sich die gebürtige Schweizerin mit dem Thema „inklusives Theater“, gründete bereits 1990 das Theater Thikwà für Darsteller mit und ohne Behinderungen. Ihre aktuelle Arbeit mit den Akteuren von „Papillons“ ist für Christine Vogt etwas Besonderes: „Demenz bedeutet Entgeistung und das hinterfrage ich mit der Theaterarbeit kritisch. Der Name Papillons bringt das auf den Punkt, denn Schmetterlinge sind bunt und schillernd und geben in ihrer begrenzten Lebensspanne alles. Genau das machen auch die alten Leute auf der Bühne.“ Dabei sei es wichtig, dass deren krankheitsbedingtes, teils unberechenbares und verwirrendes Verhalten nicht korrigiert, sondern akzeptiert werde.
Unverstellte Energie
Bei den Zuschauern löst diese direkte unverstellte Energie der Akteure in den Inszenierungen oft Begeisterung aus. „Von einem Stück war eine Zuschauerin einmal so berührt und den Tränen nah, dass sie später von einer dementen Akteurin getröstet wurde“, erinnert sich Christine Vogt. Dieser Rollentausch, in dem eine Hilfsbedürftige zur Helfenden wurde, zeige wieder, welche Fähigkeiten in den alten Menschen schlummern, so Vogt. Denn zwar verblassen bei Demenzerkrankten viele Erinnerungen, aber das Altgedächtnis, das lang zurückliegende Bewusstseinsinhalte speichert, ist überwiegend noch intakt und die „Papillons“ als Zeitzeugen damit ein Quell an interessanten Geschichten. Geschichten übrigens, von denen Christine Vogt momentan besonders profitiert, wie sie sagt: „Da während der Pandemie keine Proben stattfinden, betreibe ich gerade Biografiearbeit. Das heißt, ich lasse mich von den spannenden Erinnerungen der alten Menschen inspirieren.“
Es ist also nichts weniger als das kulturelle Gedächtnis der Akteure selbst, das in den Aufführungen von „Papillons“ hör- und sichtbar wird. Die umfassen bislang den Film „Innenleben“, der auf Youtube verfügbar ist, eine musikalische Lesung „Wie uns die Alten sungen“, eine Musikperformance „Herztöne“ sowie die Werkstattaufführung „Gesichter“.
Weitere Informationen über das Ensemble „Papillons“ gibt es auch im Internet unter https://bwurl.de/16ca und www.grenzbereiche-theater.de.
Autor:Michael Vogt aus Prenzlauer Berg |
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