Die Unterstützung war überwältigend
Die Berliner Tafel und die Coronakrise: Ein Interview mit der Gründerin der Hilfsorganisation Sabine Werth

Berliner Tafel-Gründerin Sabine Werth (Mitte) kann auf die engagierte Unterstützung vieler Freiwilliger zählen. | Foto: Berliner Tafel / Dietmar Gust
  • Berliner Tafel-Gründerin Sabine Werth (Mitte) kann auf die engagierte Unterstützung vieler Freiwilliger zählen.
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Die Berliner Tafel hat während des Lockdowns eine schwere Zeit durchlebt. 42 von 45 Ausgabestellen mussten schließen. Kurzerhand wurden Lebensmitteltüten gepackt. Über die Herausforderungen und Veränderungen infolge der Pandemie sprach Berliner Woche-Reporter Michael Vogt mit der Gründerin und Vorsitzenden der Berliner Tafel Sabine Werth.

Frau Werth: Wie haben Sie die Schließung der Ausgabestellen Mitte März erlebt und wie haben sie so schnell die Umstellungen bewerkstelligen können?

Sabine Werth: Es gab natürlich große Diskussionen darüber, wie das alles organisiert werden soll. Doch wir kamen schnell zu dem Entschluss, einfach mal anzufangen und zu schauen wie es läuft. Wenn ich eines in meiner 27-jährigen Zeit bei der Berliner Tafel gelernt habe, dann, dass jeder Tag anders ist. Für uns hieß das schon immer: flexibel zu bleiben, schauen was geht und loslegen. Learning by doing eben.

Was waren die größten Herausforderungen in den ersten Wochen?

Sabine Werth: Wir hatten das große Glück, dass wir auf dem Großmarktgelände die Halle 1 nutzten durften. Denn um die Lebensmittel einzupacken, brauchten wir eine große Fläche, auf der die Tische im vorgeschriebenen Abstand aufgestellt werden konnten. Es mussten Adresslisten der Bedürftigen erstellt werden. Dann mussten wir für das Einsammeln der Lebensmittel und die Auslieferung der Tüten unsere Fahrzeugflotte aufstocken. Gleichzeitig konnten aber viele der rund 1600 meist älteren Ehrenamtlichen nicht mehr weitermachen.

Das klingt nach großen Hürden, wie haben sie die gemeistert?

Sabine Werth: Die Unterstützung von allen Seiten war einfach überwältigend und hat uns enorme Kraft gegeben. Zunächst haben die Kirchengemeinden Meldungen entgegengenommen, wer wo genau unsere Hilfe brauchte. Für die haben wir dann sogenannte SOS-Fahrten bis vor die Wohnungstür organisiert. Gleichzeitig haben wir mit Hilfe von Mietwagenfirmen und auch mit Unterstützung des THWs, das auf unsere Bitte hin vom Land Berlin um Amtshilfe ersucht wurde, unsere Fahrzeuge aufgestockt, um Lebensmittel von den Spendern abzuholen und die neuen Routen abzudecken. Und schließlich haben rund 1600 überwiegend junge Freiwillige unseren arg geschrumpften Mitarbeiterpool aufgefüllt. Zum Beispiel Mitglieder der Klimaaktivisten Rebel Riders, die mit Lastenrädern SOS-Fahrten durchgeführt haben.

Wie war es in dieser Zeit um die materielle Unterstützung bestellt?

Sabine Werth: Anfangs gingen die Spenden von Supermärkten und anderen Unternehmen zurück, teils auch bedingt durch die Hamsterkäufe. Gleichzeitig bekamen wir von geschlossenen Hotels und Restaurants ganze Küchenvorräte. Die Firma Hevert zum Beispiel spendete Desinfektionsmittel, die Gardrobieren der Komischen Oper nähten Masken für uns.

Andere deutsche Tafeln vermeldeten einen Anstieg der Bedürftigenzahlen in der Krise. Können sie das für Berlin bestätigen?

Sabine Werth: Die Zahl der Menschen, die in Berlin coronabedingt ihre Wohnung nicht verlassen konnten oder wollten und auf uns angewiesen waren, war sehr hoch. Mittlerweile hat sich hier die Situation etwas entspannt.

Wann wird nach Ihrer Einschätzung die Berliner Tafel wieder voll einsatzfähig sein?

Sabine Werth: Mittlerweile sind zwei Drittel der Ausgabestellen wieder geöffnet, bis zum Jahresende wollen alle wieder arbeiten. Gleichzeitig aber laufen unsere Tüten-Aktion und SOS-Fahrten wegen des Bedarfs reduziert weiter. In Spitzenzeiten haben wir 850 Tüten täglich gepackt, jetzt immerhin noch 300 bis 600. Auf Dauer wird diese Doppelbelastung nicht zu stemmen sein, zumal die Zahl der jungen Helfer mit den Lockerungen wieder zurückgeht.

Das bedeutet, dass sie gerade jetzt neue Helfer brauchen?

Sabine Werth: Ganz genau. Natürlich sind auch Geld- und Sachspenden jederzeit willkommen. Vor allem aber suchen wir dringend Leute für das Einsammeln, Sortieren und Ausliefern der Lebensmittel. Die müssten vor allem einen Sprinter steuern können.

Autor:

Michael Vogt aus Prenzlauer Berg

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