Zeitzeugengespräch zum Thema Flucht nach dem 2. Weltkrieg und heute
Schon über Kinder wurde schlecht geredet

Die Ausstellung im Lutherhaus ist regelmäßig donnerstags von 16 bis 18 Uhr zu sehen. | Foto: Christian Schindler
2Bilder
  • Die Ausstellung im Lutherhaus ist regelmäßig donnerstags von 16 bis 18 Uhr zu sehen.
  • Foto: Christian Schindler
  • hochgeladen von Christian Schindler

Zusammen mit der Evangelischen Luther-Kirchengemeinde Reinickendorf hatte die SPD-Abgeordnete Bettina König zu einem Zeitzeugengespräch über das Thema Flucht am 21. November ins Lutherhaus geladen.

Christl Behrendt berichtet von einer Empörung, die sie als Kind empfand, und die in den vergangenen Jahren wieder aufkam. Die 78-Jährige gehört zu den Menschen, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Sudetenland vor der Roten Armee flohen. Sie erlebte die Verzweiflung, wenn auf der chaotischen Flucht Kinder von ihren Eltern getrennt wurden. Auch ihr wäre das beinahe passiert, hätte nicht eine Rotkreuz-Schwester beherzt eingegriffen.

Mit ihrer Mutter fand Christl Behrendt Unterkunft bei Verwandten im nordrhein-westfälischen Remscheid. Und dort passierte das, was sie schon als Kind traf: Alteingesessene Nachbarn „redeten misslich über uns“. Für die waren die Flüchtlinge Menschen aus einem unzivilisierten Teil Deutschlands, die man nur widerwillig aufnahm. „Und heute passiert dasselbe mit den Flüchtlingen“, sagt Behrendt. Sie widerspricht daher laut, wenn andere Menschen über Flüchtlinge herziehen, sagt sie.

Zweimal wurden Fluchtversuche verraten

Renate Werwigk-Schneider empört sich ebenso über das Beschimpfen von Flüchtlingen. Sie hat ebenfalls eine dramatische Fluchtgeschichte. Die in der Nähe von Berlin in eine evangelisch-bürgerliche Familie hineingeborene spätere Kinderärztin flog mit 14 Jahren in der DDR von der Schule, weil sie in der Jungen Gemeinde aktiv war. Nach dem Mauerbau wollte sie mit anderen über einen Fluchttunnel aus der DDR fliehen. Das Vorhaben wurde verraten.

Nach einer Haftstrafe versuchte Renate Werwigk-Schneider, 1967 über Bulgarien aus der DDR zu fliehen. Wieder scheiterte die Flucht, die junge Frau wurde zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach einem Jahr wurde sie in den Westen freigekauft. In Berlin machte sie die Erfahrung, dass sie „Hilfe von überall bekommen“ hat, jeder habe ihr geholfen. Dass das heute angesichts rechtspopulistischer Hetze gegen Flüchtlinge anders ist, macht sie zornig.

Syrer hofften umsonst auf Frieden

Der syrische Anwalt Khalil Sharaf hoffte zunächst darauf, dass der Bürgerkrieg in seinem Land bald enden würde. Doch nachdem er mehrmals verhaftet worden war, floh er mit seiner Familie über Jordanien nach Europa und dann nach Deutschland. Ein Ehrenamt in Reinickendorf bei der Errichtung eines Kinderspielplatzes hat ihm eine Arbeit verschafft und zuletzt sogar eine Wohnung für seine Familie. Sein Landsmann Mahmoud Ragees verließ seine Heimat 2015, als er zum Militär eingezogen werden sollte. Beide hoffen, hier „wie normale Menschen“ leben zu können.

Das Zeitzeugengespräch war Teil einer Veranstaltungsreihe der Luther-Kirchengemeinde zum Thema Flucht. Dazu gehört bis zum 31. Januar die Ausstellung „Heimat-Los“ mit Porträts von geflüchteten Menschen um 1945 und heute, die zu den Gemeindeveranstaltungen im Gemeindehaus Stegeweg 7 und im Lutherhaus, Baseler Straße 18 zu sehen ist. Das Lutherhaus ist zudem donnerstags von 16 bis 18 Uhr geöffnet.

Die Ausstellung im Lutherhaus ist regelmäßig donnerstags von 16 bis 18 Uhr zu sehen. | Foto: Christian Schindler
Die Vorsitzende des Landesfrauenbeirates Christine Kurmeyer (Mitte) moderierte das Gespräch mit Renate Werwigk-Schneider, Christl Behrendt, Khalil Sharaf und Mahmoud Ragees.  | Foto: Christian Schindler
Autor:

Christian Schindler aus Reinickendorf

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

13 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 235× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 997× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 651× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.141× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 2.030× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.