Wieder lernen Groß zu denken
Staatssekretär Jens-Holger Kirchner über die Zukunft des Nahverkehrs in Spandau

2029 sollen hier wieder Züge fahren. Viadukt der Siemensbahn am Bahnhof Wernerwerk. | Foto: Foto: Thomas Frey
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  • 2029 sollen hier wieder Züge fahren. Viadukt der Siemensbahn am Bahnhof Wernerwerk.
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Reaktivieren der S-Bahn. Die U-Bahnverlängerung zur Heerstraße Nord. Auch die Wiederauferstehung der Straßenbahn.In Spandau gibt es einige Verkehrsprojekte, die die Phantasie anregen. Aber wie realistisch ist ihre Umsetzung? Und in welchem Zeitraum?

Einige Antworten darauf gab Jens-Holger Kirchner Ende März bei einer Online-Verkehrskonferenz, die der (noch) SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz organisiert hatte. Kirchner, ursprünglicher Grünen-Stadtrat in Pankow und kurzzeitiger Staatssekretär in der Senatsverkehrsverwaltung, ist aktuell Beauftragter der Senatskanzlei für die Koordinierung größerer Stadtentwicklungsprojekte.

Damit ist er auch befasst mit den Mega-Vorhaben im Bezirk, Stichworte etwa Siemens-Campus, Insel Gartenfeld oder Wasserstadt. Und wie nicht nur den Bewohnern dort attraktive Mobilitätsangebote jenseits des eigenen Autos gemacht werden können.

Was werden soll. Die Siemensbahn von Jungfernheide bis Gartenfeld ist sozusagen auf dem Gleis, wurde auch von Kirchner unterstrichen. Hier handle es sich auch um eine schnelle Entscheidung, denn erst mit Bekanntwerden der Siemenspläne 2018 sei dieser seit 40 Jahren brachliegende S-Bahnabschnitt aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Dass auf dem noch vorhandenen Viadukt frühstens 2029 die ersten Züge verkehren, liege vor allem an der inzwischen fehlenden Verbindung zwischen Jungfernheide und Wernerwerk.

Ein Weiterführen der Linie über die Havel von Gartenfeld nach Hakenfelde ist derzeit Thema einer Machbarkeitsstudie, auf deren Ergebnis nicht nur Kirchner gespannt ist. Eine unterirdische Querung scheine aber schwierig zu werden, auch wegen "viel Mist im Grundwasser". Und hier geht es um ein langes Langzeitprojekt.

Die U7-Verlängerung vom Rathaus Spandau zum Magistratsweg hat gerade in Sachen Machbarkeit Bestnoten bekommen. Grünes Licht bedeutet das noch nicht. Als nächstes folgt eine Kosten-Nutzen-Analyse, die unter anderem darlegen muss, ob der Bau, sein finanzieller, auch ökologischer, Preis sich durch weniger Individualverkehr amortisiert.

Unter den Teilnehmern der virtuellen Konferenz zeigte sich auch, dass das Projekt nicht nur Anhänger hat. Ein Mann befürchtete Lärmbelästigungen für die Wilhelmstadt. Und immer wieder gab es den Hinweis, ob der Straßenbahnausbau nicht effektiver und günstiger wäre.

Auch die Tram soll wieder nach Spandau fahren. Jens-Holger Kirchner skizzierte vor allem eine Verbindung, die ebenfalls von der Jungfernheide den Bezirk erreichen soll. Möglicherweise über den Kurt-Schumacher-Platz in Reinickendorf und das Tegel-Quartier. Auch das natürlich erst einmal Zukunftsmusik.

Langer Vorlauf. Die Ausführungen machten deutlich: Bis viele Vorhaben realisiert sind, wird es teilweise noch Jahrzehnte dauern. Aber was passiert bis dahin? Denn die neuen Großwohnprojekte werden sich schon in einigen Jahren mit bis zu 30 000 Neubürgern füllen.

Sie im öffentlichen Nahverkehr zu transportieren, obliegt dann vor allem dem Bus. Angereichert durch intelligente Lösungen, die ein möglichst schnelles Befördern garantieren. Der Senatsbeauftragte nannte zum Beispiel extra Spuren für Expressbusse oder das Installieren von O-Bustrassen. Letztere auch als eventuellen Vorgriff auf spätere Straßenbahnlinien.

Ebenfalls von ihm erwähnt: Ein Entzerren des Busknotens Rathaus Spandau. Etwa in Form einer Einbahnstraßenlösung in seiner Umgebung.

Der Nahverkehr hinkt hinterher. Das Grundproblem bleibt erst einmal. Spandau wächst, aber lange wurde anscheinend kaum überlegt, wie die Bewohner attraktiv an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden werden können. Über die Bebauung der Insel Gartenfeld werde seit zehn Jahren geredet, monierte Daniel Buchholz. Es wäre also Zeit gewesen, sich darüber Gedanken zu machen.

Kaum Widerspruch bei Jens-Holger Kirchner. Schon, weil der für die Versäumnisse der Vergangenheit nicht verantwortlich gemacht werden kann. Was fehle sei nicht nur in der Verkehrspolitik eine ganzheitliche Strategie. Berlin habe "verlernt, groß zu denken". Eine "Kultur der Projektsteuerung ist nicht vorhanden", lauteten nur zwei seiner in dieser Richtung sehr deutlichen Sätze. Eher dominiere ein Gegeneinander und das Vorbringen von Bedenken. Auch deshalb dauere vieles so lange. In anderen Städten ginge das viel schneller. "Und da muss man nicht nach China schauen, solche Beispiele gibt es auch in Deutschland".

Wir brauchen alle. Die U-Bahn oder die S-Bahn gegen die Straßenbahn auszuspielen sei der falsche Ansatz. Fand Jens-Holger Kirchner. Fand auch Daniel Buchholz. Vielmehr würden alle benötigt. Nur dann gelinge eine Mobilitätswende, die für die Menschen attraktiv ist. Und das gerade in Außenbezirken wie Spandau.

Auch von Kostenargumenten lässt sich Kirchner dabei nicht irritieren. Etwa der Frage eines Teilnehmers, wie viel Kilometer Straßenbahn für die wahrscheinlich bis zu 700 Millionen teure U7-Verlängerung zu haben wären? Er kontert mit dem Hinweis auf Milliardenhilfen für Autokonzerne oder Fluggesellschaften in Folge der Corona-Krise. Das wären noch immer ganz andere Größenordnungen, als beim öffentlichen Nahverkehr.

Gleis und Wasser. Entlasten von Straßen vom motorisierten Individualverkehr, das gelte nicht nur bei der Personen-, sondern auch der Güterbeförderung. Gerade auch bei den Spandauer Großprojekten.

Bei deren Bau sollte der Transport des benötigten Materials nicht zuletzt per Schiene oder auch Schiff erfolgen, brachte der Senatsbeauftragte einen weiteren Aspekt ins Spiel. Gleisanlagen wären vorhanden, etwa am Kraftwerk Reuter. Ebenso wie Wasserwege. In dieser Richtung würden auch bereits Gespräche laufen. Und ein Ergebnis sei in nicht allzu langer Zeit zu erwarten.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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