Einsatz mit Taktgefühl: Polizei verweist gewalttätige Obdachlose des Platzes
Charlottenburg. Wo andere nur kommen und gehen, haben sie ihre karge Bleibe. Doch nicht alle Obdachlosen rings um den Bahnhof Zoo verharren in friedfertiger Stimmung. Und die Polizeidirektion 2 muss Wutausbrüche stoppen mit Rücksicht auf die Würde.
„Ich fünf Tage Berlin“, grummelt ein Herr das neueste Detail seiner Biografie. „Erst Alexanderplatz, jetzt Zoo. Alles nicht gut.“ Fünf ernüchternde Tage liegen also hinter ihm. Fünf Tage ohne Bleibe, erträglich nur durch Alkohol. Und jetzt macht er Bekanntschaft mit der Polizei. Der Mann trägt knittrige, alte Kleidung, eine Kappe mit dem Aufdruck „Germany“. Ein halb verzehrtes chinesisches Gericht steht auf dem Holztisch unter freiem Himmel. Der Hardenbergplatz: ein Wohnort ohne Decke. Pappschachteln statt Teller. Der staubige Betonboden als Bett. Und nur ein paar Brocken Deutsch zur Verständigung, weit weg von der osteuropäischen Heimat.
Der Mann und seine Kumpanen gehören zu den letzten Obdachlosen, die sich heute eine Überprüfung gefallen lassen müssen. Hauptkommissar Jochen Kretschmer und sein Team werden an diesem glühend heißen Augustabend einen Sondereinsatz beenden, der besonderes Taktgefühl von ihnen verlangte. Dabei klingt der Grundsatz unmissverständlich: Wer sich friedlich verhält, darf bleiben – aber wer pöbelt oder rauft, den schickt die Polizeidirektion 2 vom Platz.
„Es ist in Ordnung, dass sie da sind“, sagt Kretschmer über die Männer ohne Bleibe. „Aber andere Bürger müssen über Wege und Plätze gehen können, ohne Angst zu haben.“ Zu diesem Zweck patrouillieren der stellvertretende Dienstgruppenleiter und 30 Kollegen bis in die Nacht hinein. Eine Woche starke Präsenz zeigen – schon kehrt Ruhe ein an den einschlägig bekannten Schauplätzen von Raufereien: Hardenbergplatz, Jebensstraße, die Bahnbrücke mit neuer künstlerischer Beleuchtung. Was diese „Perle aus Licht“ unter dem Bahnhof Zoo tatsächlich bringt? „Sie stärkt jedenfalls das Sicherheitsgefühl“, sagt Polizeihauptkommissar Klaus Reichert. „Aber die Obdachlosen halten sich hier natürlich weiter auf. Bei Sonne spendet die Brücke Schatten. Und bei Regen verschafft sie Schutz.“
Der Nutzen des neuen Urinals in der Jebensstraße? „Eine schwierige Kiste“. antwortet Kretschmer. „Ich würde erwarten, dass unser Staat eine Lösung findet, die auch einen Sichtschutz bietet.“ Zwar sei das Kunststoffklo ein Fortschritt gegenüber der Zeit des Wildpinkelns. Aber die begrenzten Möglichkeiten des Bottichs zeigten sich den Polizisten nun auf unappetitliche Weise: Er lief komplett über und ergoss seinen Inhalt derart reichlich über das Pflaster, dass es zu einer Unterspülung kam. Und das nächste Manko offenbart seine Folgen wenige Meter weiter in einer Nische: ein frischer Kothaufen, nicht etwa hinterlassen von einem Hund, sondern von einem Menschen, der kein echtes Klo fand.
Weniger Sorgen bereitet inzwischen ein anderer Problemherd. Den „Schleusenkrug“, eine schmale Passage in den Tiergarten, ließ das Bezirksamt Mitte räumen – nachdem man ein Obdachlosen-Camp an diesem Nadelöhr lange geduldet hatte. Aus Sicht der Polizei eine richtige Entscheidung, schon allein, weil die hier ansässigen Osteuropäer eine nahe gelegene Senke zur Kloake umfunktionierten. Und Polizeioberkommissar Ingo Ahl, ein Kenner der Szene, hatte es zuletzt sogar mit einem gefährlichen Fall von Brandstiftung zu tun. Als ein Mann dem anderen seine Frau nicht ausliefern wollte, zündete er als Rache dessen Zeltplane an.
Es sind andere Sitten, auf die sich Ahl und seine Kollegen einstellen müssen. „Diese Männer werten Freundlichkeit als Schwäche“, bedauert Ahl. „Wo sie herkommen, geht die Polizei anders vor. Das haben sie mir selbst gesagt.“
Angetrunkene Vertreter von solchem Kaliber zu kontrollieren, bei Unflätigkeiten einen Platzverweis aussprechen – ein Balanceakt zwischen freundlichem Auftritt und Durchsetzungskraft. „Es ist ein gesellschaftliches Problem, das wir nicht lösen können“, formuliert Klaus Reichert das Dilemma. Polizeiarbeit mit Obdachlosen: eine Gratwanderung zwischen Menschenwürde, Recht und Gesetz. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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