Großbritannien mal drei
Ausstellungen zum Brexit im Willy-Brandt-Haus eröffnet
Die Vernissage fand am 29. März statt. Das Datum war kein Zufall. An diesem Tag wollte Großbritannien eigentlich die Europäische Union verlassen.
Der Brexit wurde aber zunächst aufgeschoben. Der weitere Fortgang war zumindest bis zum Abfassen dieser Zeilen offen. Der angekündigte Abschied der Briten aus der EU war im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale, Anlass für gleich drei neue Fotoausstellungen, die das Vereinigte Königreich zum Thema haben. Die gezeigten Arbeiten stammen aus verschiedenen Epochen, haben unterschiedliche Schwerpunkte und gehören doch irgendwie zusammen.
Die erste, im Erdgeschoss angesiedelte heißt "Distant Islands" und hat den konkretesten Bezug zum Brexit. Sie präsentiert Aufnahmen von Fotografen und Absolventen der Berliner Ostkreuzschule aus dem Jahr 2017. Versucht wurde, die Stimmung und die Zerrissenheit des Landes, die zur knappen Austrittsentscheidung führte, in Bildern festzuhalten. Etwa am Beispiel der Stadt Manchester und ihren teils prosperierenden, teils heruntergekommenen Vierteln. Oder der Stadt Wigan, im Großraum Manchester gelegen. Ein altes Industriezentrum, wo 2016 fast zwei Drittel der Bevölkerung für einen EU-Austritt votiert haben. Oder Blackpool.
Zwei Tage im Seebad Blackpool
Das bekannte britische Seebad ist auch Hauptdarsteller in Benita Suchodrevs Dokumentation "48 Hours Blackpool", zu sehen in der zweiten Etage. Wer den Ort nicht kennt und sich ihn als Platz für entspannende Sommerfrische vorstellt, wird spätestens mit den Ergebnissen ihrer zweitägigen Beobachtung aufgeklärt. Blackpool ist eine Art großer Vergnügungspark, einschließlich skurrilen und manchmal antiquiert anmutenden Zutaten. Schon die allesamt in schwarz-weiß gehaltenen Fotos vermitteln trotz aller Spaßangebote eine wenig bunte, eher freudlose, teilweise auch harte Atmosphäre. Eine Art hart zu erarbeitendes Entertainment.
Benita Suchodrevs Beitrag steht zunächst für keinen konkreten Brexit-Bezug. Aber vielleicht auf den zweiten Blick. Blackpool gilt als eine Art Spielfeld der britischen "Working Class", also der Bevölkerungsgruppe, die, siehe Wigan, mit ihrer Stimme maßgeblich zur Austrittsentscheidung beitrug. Warum?
Die Wurzeln der Unzufriedenheit
Auf eine Antwort verweist Tish Murtha mit ihrem Zyklus "England 78-81" im dritten Stock. Die Jahreszahlen verweisen darauf, dass es in diesem Teil der Schau ziemlich weit zurück in die Vergangenheit geht. Tish Murtha hat damals, vor allem in Newcastle, Heranwachsende aus der Arbeiterklasse begleitet. Es ist der Beginn der Ära von Premierministerin Margaret Thatcher, die mit einem radikalen Liberalisierungs- und Privatisierungskurs das damals wirtschaftlich kränkelnde Großbritannien wieder auf die Beine bringen wollte. Die Schattenseiten dieser Politik waren das Wegbrechen sozialer Strukturen, Desillusionierung, teilweise auch Verelendung. Paradox, dass gerade viele Leidtragende der Thatcher-Jahre heute anscheinend ausgerechnet beim Thema Europäische Union ähnlich denken wie einst die sogenannte "Eiserne Lady". Die fand schon damals die Brüsseler Bürokratie monströs, fühlte sich fremdbestimmt, verlangte und bekam einen Rabatt ihrer Zahlungen an die Gemeinschaftskasse ("I want my money back"). Fast 40 Jahre später sahen das auch viele Menschen so, von denen das wahrscheinlich nicht einmal Margaret Thatcher erwartet hätte.
Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28. Zu sehen bis 12. Mai. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 12 bis 18 Uhr. Geschlossen ist an Karfreitag, 19. April, und am 1. Mai. Dafür geöffnet am Ostermontag, 22. April. Der Eintritt ist frei, für den Zugang aber ein Ausweis erforderlich.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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