Ein Pionier des Fußballs
Georg Demmler und die "englische Krankheit" im Bergmannkiez

Georg Demmler
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Lange warteten die Gäste im Lokal "Weißer Mohr" am heutigen Mehringdamm auf das Telegramm. Als es endlich eintraf, brach riesiger Jubel aus. "7:0 gewonnen" lautete der aus Kostengründen knappe Text.

Die Nachricht kam aus Paris, wo an diesem Dezembertag des Jahres 1898 eine deutsche Fußballauswahl gegen ein vor allem aus Engländern bestehendes Team der französischen Hauptstadt klar die Oberhand behalten hatte. Besonders groß war die Freude bei einem fast zwei Meter großen Mann. Er sprang auf und es bestand die Gefahr, dass er gegen die Deckenlampe stieß. Georg Demmler freute sich über diesen weiteren, wichtigen Geländegewinn des Fußballs.

Fußball ist ein Massenphänomen. Gerade aktuell während der Weltmeisterschaft. Bis er sich in Deutschland durchsetzte, brauchte es aber einige Zeit. Die Grundlage dafür legten Ende des 19. Jahrhunderts Menschen wie Georg Demmler. Seine Wiege stand, wie die der neuen Sportart, in Kreuzberg. Okay, sagen wir im zweiten Fall bescheidener, eine Wiege.

Georg Demmler, 1873 geboren, wuchs in der Zossener Straße 31 auf, wo sich auch der Familienbetrieb seines Vaters, eine Papierverarbeitung, befand. Der körpergroße Jüngling interessierte sich früh für die Ballaktivitäten auf dem Tempelhofer Feld. Und erwies sich dabei als talentiert. Obwohl der Verein Germania 88 eigentlich erst Spieler ab 18 Jahren zuließ, durfte er schon vor diesem Geburtstag mitmachen.

Kicken auf dem Exerzierplatz

Das Tempelhofer Feld gibt die Antwort, warum gerade die Gegend um die Bergmannstraße und den Chamissoplatz zu einer frühen Fußballhochburg wurde. Es war damals Exerzierplatz und, wie heute wieder, Naherholungsgebiet. Auf dem Areal fand sich auch Raum für die Ur-Kicker, um ihrem Spiel nachzugehen. Zunächst einigermaßen wild, später mit Erlaubnis des Militärs.

Bälle und weiteres Equipment mussten mitgebracht werden. Als Depot boten sich Lokale im benachbarten Wohnviertel an. Ihre Keller dienten auch als Umkleidekabinen. Bald hatten viele Spieler dort ihr Basislager. Erst recht, als sie Vereine gründeten. Für die 1888 aus der Taufe gehobene "Germania" von Georg Demmler war das der "Kaiserstein" am Mehringdamm. Das Haus gibt es noch immer und hatte bis vor einigen Jahren diesen Namen. Auch Germania 88 existiert bis heute und nennt sich deshalb ältester existierender Fußballverein. Nur wenig jünger ist Viktoria 89. Dessen Spieler trafen sich einst im Lokal von Vater Gruschwitz an der Ecke Friesen- und Jüterboger Straße.

Fußball kam aus England und fand zunächst vor allem unter Schülern, Studenten oder Angestellten Verbreitung. Sehr zum Leidwesen der älteren Generation, für die das Turnen als den Deutschen adäquate Sportart galt. Der Fußball degeneriere, weil er nicht alle Körperteile gleich beanspruche, referierten die Recken von Reck, Bock und Barren. Deshalb handle es sich hier um "Fußlümmelei" und eine "englische Krankheit". Was von der Insel kam, wurde ohnehin argwöhnisch beäugt.

Der Virus ließ sich aber nicht mehr einfangen. Auch wenn viele vorsichtig sein mussten, die davon angesteckt waren. Marschierten die Spieler von ihren Lokalen in Richtung Tempelhofer Feld, klebten sie sich oft falsche Bärte an. Denn sie könnten zum Beispiel einem Lehrer begegnen.

Nachhilfe aus England

Es waren oft englische Experten, die den Teams Nachhilfe in Struktur, Technik und Taktik gaben. Zu Beginn wurde einfach drauflos gespielt. Auch die Regeln variierten. Rugby-Elemente waren noch einige Zeit Bestandteil. Und es gab zunächst verschiedene Vereinigungen.

Das alles in geordnete Bahnen zu lenken, war eine Aufgabe, der sich Georg Demmler ebenfalls verschrieb. Er glänzte bald nicht nur als durchsetzungsfähiger Stürmer, sondern auch als Funktionär. Bei Germania 88 pochte er auf das Einhalten der Vereinsvorgaben. Fehlen beim Training war immer wieder Anlass für ernsthafte Ermahnungen.

An der Gründung des Berliner Fußballverbandes im Jahr 1897 war Georg Demmler auch beteiligt. Sie fand ebenfalls in Kreuzberg statt. Diesmal im "Dustren Keller" in der Bergmannstraße 107. An das Ereignis erinnert eine Tafel vor dem Haus. Ebenso gehörte er drei Jahre später in Leipzig zu den Mitgliedern der Gründungsversammlung des "Deutschen Fußball Bundes".

Auch die Leichtathletik hatte in Demmler ihren wahrscheinlich wichtigsten Pionier. In dieser Sportart führte er das deutsche Team bei den ersten olympischen Spielen der Neuzeit, 1896 in Athen, ebenso wie vier Jahre später in Paris, an. 1898 gründete er die Sportbehörde für Leichtathletik und war zehn Jahre ihr Vorsitzender.

Schließlich hat Georg Demmler in seinem Beruf als Architekt bis heute Spuren in Berlin hinterlassen. Wenig verwunderlich, dass er sich dabei auf den Bau von Sportstätten spezialisierte. Das Poststadion in Moabit entstand ebenso nach seinen Plänen wie die Tennisanlage im Grunewald und das heutige Willy-Kressmann- und vormalige Katzbachstadion in Kreuzberg. Am Eingang des Sportplatzes wird an den 1931 Gestorbenen erinnert.

Freude beim Kaiser

Auch bei der eingangs erwähnten Jubelfeier im "Weißen Mohr" fiel Georg Demmler nicht nur wegen seiner großen Begeisterung auf. Der Erfolg der Kicker müsse dem Kaiser zur Kenntnis gebracht werden, fand er. Deshalb wurde eine Depesche aufgesetzt und ins Schloss geschickt. Sie teilte Wilhelm II. mit, dass eine Fußballmannschaft "aus allen deutschen Gauen" in Paris einen Sieg mit "7 zu 0 Malen" errungen habe.

Nicht überall kam die Hofberichterstattung gut an. Der Fußball habe von politischen Einflüssen frei zu bleiben, kritisierten einige. Majestät habe "Freude über den schönen Sieg empfunden", teilte das Hofmarschallamt des Kaisers in seiner Antwort mit. Was Georg Demmler und seine Kameraden als eine Art Adelsprädikat für ihre zuvor so oft angefeindete Sportart ansehen konnten. Das Buch zum Text Viele Informationen für diesen Text stammten aus dem Buch "Fußlümmelei. Als Fußball noch ein Spiel war" von Michael Broschkowksi und Thomas Schneider. Es erzählt die Anfänge dieses Sports, gerade auch in Kreuzberg. Das Werk aus dem Jahr 2005 scheint inzwischen weitgehend vergriffen zu sein. Vor allem via Internet kann es aber noch bezogen werden.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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