Penthouse statt Ärztehaus?
Samwer-Brüder kündigen Praxen im Haus der Gesundheit

Frauenärztin Dr. Sabine Müller wurde gekündigt. | Foto: Dirk Jericho
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Mehrere Jahre war es ruhig geblieben um das Haus der Gesundheit (HdG) in der Karl-Marx-Allee 3 am Alexanderplatz. Jetzt kündigen die Eigentümer den letzten Ärzten. Es wäre das Ende der medizinischen Versorgung in der ersten Poliklinik Berlins.

Seit über zehn Jahren betreibt Dr. Sabine Müller ihre Frauenarztpraxis im Haus der Gesundheit. Sie ist die letzte Gynäkologin am Alex, sagt sie. 16 000 Patienten hat Müller in der Kartei, viele davon mit Krebsleiden. „Es wird mit Sicherheit viele Tote geben, wenn die letzte hier onkologisch tätige Gynäkologin dichtmacht“, so Müller. Die Eigentümerin der Denkmalimmobilie, die Münchner Immobilienfirma Augustus, hat Sabine Müller zu Ende Mai 2020 gekündigt.

Eine Kündigung zum Juni 2020 hat auch das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) des katholischen Krankenhausträgers Alexianer im HdG bekommen, wie Alexander Grafe, Chef des Versorgungszentrums, bestätigt. Im MVZ sind zwei Allgemeinärzte und ein Urologe angestellt. Mit dem selbständigen Zahnarzt im Haus der Gesundheit sind die letzten fünf verbliebenen Mediziner im HdG demnächst ohne Räume. Auch die Apotheke ist derzeit „in der Schwebe“, wie die Filialleiterin sagt.

Die Augustus Capital Management GmbH gehört zum Firmenimperium der Samwer-Brüder. Die deutschen Internetunternehmer sind bekannt durch die Start-up-Schmiede Rocket Internet. Mit dem Online-Modehaus Zalando bauten sie einen Milliardenkonzern auf. Das Geld investieren sie immer mehr in Immobilien. 

Nach Bekanntwerden der neuen Kündigungswelle hat die CDU in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte beantragt, die Ärzte und medizinischen Dienstleister aus dem Haus der Gesundheit zu unterstützen und gegebenenfalls „einen geeigneten Standort für ein neues Haus der Gesundheit zu finden“.

Den Mietern hätte wegen der Sanierung des Hauses gekündigt werden müssen, teilen die Investoren auf Nachfrage mit, außerdem seien Verträge ausgelaufen. Fragen zur Zukunft des Hauses der Gesundheit beantworten sie nicht, teilen aber mit, "dass Berlin-Mitte nach unserem Wissen von den Kassen als gut versorgtes Gebiet deklariert“ werde.

Käufer sollte Ärztehaus erhalten

Das Ärztehaus ist enorm wichtig für den Kiez mit rund 100 000 Patienten; die meisten davon in hohem Alter. Erstmals gab es Proteste, als das Sana-Gesundheitszentrum (SGZ) als Betreiber des Hauses der Gesundheit 2014 sein Gesundheitszentrum mit 24 Arztstellen an das Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) in Marzahn verkauft hatte. Die AOK als Eigentümerin der Immobilie hatte sich nach dem Auszug ihres Hauptmieters Sana zum Verkauf des Hauses entschlossen und ein Bieterverfahren gestartet. Der Verkauf wurde vor allem von den Linken scharf kritisiert. Carola Bluhm, Fraktionsvorsitzende der Linken im Abgeordnetenhaus und Mittes Wahlkreisabgeordnete, hatte gegen die Privatisierung protestiert und gefordert, dass die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) das Ärztehaus übernimmt. Die WBM war aber beim Kaufpreis von acht Millionen Euro ausgestiegen. Wie viel die Samwers an die AOK bezahlt haben, ist unbekannt. Bluhm glaubt aber nicht, dass es die kolportierten 20 Millionen Euro waren, sondern viel weniger.

Der Verkauf des Hauses der Gesundheit 2016 durch die AOK  hatte damals für heftige Debatten gesorgt. Auf einer Pressekonferenz mit dem damaligen Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) wurde der Käufer nicht genannt. Die AOK hatte die Gemüter dadurch beruhigt, dass sich der neue Eigentümer vertraglich verpflichtet habe, das Ärztehaus zu erhalten und die kommenden fünf Jahre wie bisher mindestens 50 Prozent der Gesamtfläche der Denkmalimmobilie (2500 Quadratmeter) dafür zur Verfügung zu stellen.  Der damalige Vertreter der Samwers, der Architekt Daniel Bormann, sprach sogar von einem neuen Gesundheitszentrum im Haus der Gesundheit. Das Gebäude sollte im Bestand vom Dach bis zum Keller saniert werden. Alle Mieter wie Apotheke, Ärzte, Alexianer-MVZ und Physiotherapie sollten bleiben. Der Investor hatte seinerzeit „eine Nutzungsmischung rund um das Thema Gesundheit und Pflege“ versprochen. Die freien Flächen sollten an weitere Arztpraxen, Gesundheitsfachhandel und Start-up-Firmen, die sich – Stichwort Life Science – mit modernen Gesundheitskonzepten befassen, vermietet werden. Der anonyme Käufer besitze bereits mehrere Ärztehäuser und wolle die Immobilie nicht weiterverkaufen, sagte Bormann 2016. Der Architekt hat seit über zwei Jahren nichts mehr mit dem Projekt zu tun, wie er auf Nachfrage sagt.  

Stadtrat verurteilt "Turbokapitalismus"

Die Fünf-Jahres-Klausel endet 2021. Zwei Jahre vorher hagelt es Kündigungen. Der für das Bauamt zuständige Stadtrat Ephraim Gothe (SPD) hat bestätigt, dass das Bezirksamt vor kurzem einen Dachgeschossausbau genehmigt hat. Gynäkologin Sabine Müller spricht von Schikanen und „bewusst rücksichtslosem Vorgehen“ der Bautrupps im Haus. Bereits 2016 sei direkt auf ihren Schreibtisch die Decke eingestürzt. Das nennt Müller „Mordversuch. Hätte die BVG an diesem 16. Dezember keinen Stromausfall gehabt, wäre ich erschlagen worden“, so die Ärztin.

Gothe, der auch Gesundheitsstadtrat ist, zeigte sich „tief enttäuscht darüber, dass der Eigentümer Kündigungen ausgesprochen hat. Es ist mir unerklärlich, warum der Eigentümer  das Haus nicht sensibel als Ärzte- und Gesundheitshaus weiterentwickelt, denn der Bedarf im Quartier ist mehr als gegeben“, so Gothe. „Der Name Samwer steht nicht für soziale Stadtentwicklung, sondern für Turbokapitalismus." Gothe hat die kassenärztliche Vereinigung (KV), die für die Genehmigungen von neuen Praxen zuständig ist, „auf die unterdurchschnittliche Versorgung des Gebietes mit Arztpraxen „nachdrücklich hingewiesen“, wie er sagt. „Die KV bezieht ihre Einschätzung auf die ärztliche Versorgung allerdings nicht auf einzelne Quartiere, sondern auf den Bezirk insgesamt. Um weitere Analyse hierzu zu bekommen, beteiligt sich der Bezirk an einer Erhebung, die die Beuth-Hochschule erarbeiten will“, sagt der Stadtrat.

Das Haus der Gesundheit wurde 1914 als sechsgeschossiges Geschäftshaus errichtet. Das denkmalgeschützte Gebäude mit kunstvoll geschmiedeten Treppengeländern und Stuckmamor an den Decken wurde seit 1923 als Ärztehaus genutzt. 1948 eröffnete am Alex die erste Poliklinik Berlins.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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