Gebührenkeule gegen Bürgerprotest
Trotz BVV-Beschluss und Bürgerdialog verlangt Mitte hohe Widerspruchsgebühren
Sich im Bezirk gegen Straßenumbenennungen oder andere Anordnungen zu wehren, kann teuer werden. Acht Monate nach den Diskussionen um die Aufhebung der Einbahnstraßenregelung im Wöhlertkiez bekommen die Anwohner, die Widerspruch eingelegt haben, eine saftige Rechnung.
Sie wollten ihre Einbahnstraße behalten, weil sie zunehmenden Verkehr befürchteten. Die Anwohner im Wöhlertkiez engagieren sich seit Jahren für einen grünen Kiez, kämpfen für Verkehrsberuhigung und eine Fahrradstraße. Grüne Schleife nennt sich die Initiative, die im vergangenen November auch mächtig Rabbatz gemacht hat, als der Bezirk über Nacht die jahrzehntelange Einbahnstraßenregelung in der Schwartzkopff-, Pflug- und Wöhlertstraße aufgehoben hat. Nach massiven Protesten wurden die Schilder vier Tage später wieder angeschraubt. Doch trotz Vor-Ort-Termins der Kiezinitiative Grüne Schleife mit der Grünen-Stadträtin Sabine Weißler, einer thematischen Stunde in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zum Straßenstreit und eines BVV-Beschlusses zum Erhalt der Einbahnstraßenregelung wurden die Einbahnstraßenschilder am 1. Dezember abgenommen.
Mitten im Sommer bekommen nun vier Anwohner, die einen Widerspruch gegen die Aufhebung der Einbahnstraßenregelung eingelegt hatten, saftige Gebührenbescheide. 14 Anwohner hatten nach dem Hinweis des Bezirksamtes, die Bearbeitung könnte Kosten nach sich ziehen, den Widerspruch zurückgezogen. Niemand wusste, welche Summen möglicherweise auf ihn zukommen. Anett Keidel aus der Schwartzkopffstraße weiß es jetzt: exakt 230,40 Euro. So steht es im Widerspruchsbescheid, den die für das Straßen- und Grünflächenamt zuständige Stadträtin Sabine Weißler von den Grünen persönlich mit grünem Stift unterschrieben hat. Die Summe errechnet sich laut Bescheid so: Mit jedem Widerspruch wurde die Aufhebung von insgesamt neun Verkehrszeichen angefochten. Macht laut Weißler eine Mindestgebühr pro Verkehrszeichen von 25,60 Euro – insgesamt 230,40 Euro. Keidel hat ihren Bescheid vom 9. Juli am 12. Juli bekommen. Am 14. Juli kam bereits die Mahnung.
"Berechnung ist absurd"
Die Sozialpädagogin lebt seit 23 Jahren im Kiez und engagiert sich für die Nachbarn. Mit gemeinsamen Kochaktionen in einem Café sammelt sie zum Beispiel Spenden für einen älteren kranken Herren. Dass ausgerechnet eine Stadträtin der Grünen so massiv die Gebührenkeule schwingt, macht sie fassungslos. Die Kiezinitiative hatte Unterschriften gegen das Einbahnstraßen-Aus gesammelt, Politiker in den Kiez geholt, in den BVV-Ausschüssen um Unterstützung geworben und bekommen. „Ich wusste nicht, dass diese Form der Bürgerbeteiligung Gebühren nach sich ziehen könnte und schon gar nicht in welcher Höhe“, sagt Anett Keidel zu ihrem Widerspruch. Die Berechnung mit den neun Schildern findet sie absurd; schließlich richtete sich ihr Widerspruch gegen die Entscheidung, die Einbahnstraße aufzuheben, „und nicht gegen irgendwelche Schilder“.
Will das Bezirksamt mit hohen Gebühren Bürgerinitiativen einschüchtern? Auch bei der massiven Widerspruchswelle zur umstrittenen Straßenumbenennung im Afrikanischen Viertel wurden dreistellige Gebühren angekündigt. „Nein. Eine Bürgerbeteiligung ist ausdrücklich gewünscht“, lässt Sabine Weißler über die Pressestelle ausrichten. „Versammlungen, öffentliche Veranstaltungen, Vor-Ort-Termine, Öffentlichkeitsarbeit. All diese Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Verwaltung, Anliegern und Öffentlichkeit wurden genutzt“, so Weißler. „Ich glaube, dass wir durch die dichten und engagierte Zusammenarbeit aller Beteiligten an der Planung zur Schwarzkopfstraße/Wöhlertstraße viel erreicht haben und noch mehr erreichen werden“, sagt die Stadträtin.
Für Grüne-Schleife-Sprecherin Nora Erdmann, die ihren Widerspruch seinerzeit wegen der angedrohten Kosten zurückgezogen hatte, klingt das wie Hohn. „Gar nichts haben wir erreicht, wir wurden bisher nur hingehalten“, sagt Erdmann.
Unterstützung durch Bezirksverordnete
BV-Vize Sonja Kreitmair nennt Weißlers Gebührenbescheid „ein starkes Stück“. Die Entscheidung sei „bürgerunfreundlich und erschwert Bürgerbeteiligung“, sagt die SPD-Verordnete, die die Kiezinitiative Grüne Schleife in ihrem Straßenkampf unterstützt hatte. „Wir werden das aufklären“, so Kreitmair am Telefon aus ihrem Urlaub. Auch Alexander Freitag von den Piraten kündigt an, „den Vorgang zu untersuchen“. Die Piraten haben an der Pflugstraße ihr Büro und hatten selbst Widerspruch gegen die Abordnung der Einbahnstraße eingelegt, dann aber zurückgezogen. „Das ,Grauflächenamt‘ nimmt die Anliegen der Bürger nicht ernst“, so der Pirat. „Frau Weißler und die Grünen zeigen erneut, dass ihnen bürgerschaftliches Engagement nur dann wichtig ist, wenn das Ziel der Initiative inhaltlich mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt. Das hat sich schon im Verhalten im Rahmen der Diskussion um die Grüne Schleife in der BVV gezeigt, wo ein BVV-Beschluss einfach ignoriert wurde“, meint auch Sebastian Pieper. „Wie schon im Afrikanischen Viertel wird mit horrenden Gebührenforderungen reagiert und versucht, engagierten Bürgern die Lust am Widerspruch zu nehmen“, so der CDU-Fraktionschef.
Anett Keidel ist „sehr entsetzt darüber, dass ich in meinem Wohnumfeld nun wohl nicht mehr aktiv für die Lebensqualität meiner Familie und Nachbarn tätig sein kann, da dies scheinbar Kosten nach sich zieht“, schreibt sie an Sabine Weißler und die BVV-Fraktionen. Sie beantragt, „den Bescheid aufzuheben und auf die Festsetzung der Gebühr zu verzichten“. Das wäre angemessen, zumal der Bürgerprotest gegen die Aufhebung der Einbahnstraße von der BVV unterstützt wurde.
Die BVV hatte vergangenen November den „Erhalt der Einbahnstraßenregelung“ beschlossen. Das Bezirksamt wurde in dem SPD-Antrag aufgefordert, „die Einbahnstraßenregelung in Schwartzkopf-, Pflug- und Wöhlertstraße zu erhalten, bis ein von ihm dafür durchzuführendes beteiligungsorientiertes Findungsverfahren gemäß der für Mitte beschlossenen Leitlinien für Bürgerbeteiligung abgeschlossen ist.“ Interessiert hat das die Verantwortlichen nicht; obwohl sich Mitte immer Transparenz, Bürgerbeteiligung und Partizipation auf die Fahnen schreibt.
Zu einem möglichen Verzicht lässt Sabine Weißler ausrichten: „Zwar gibt es eine persönliche Gebührenbefreiung für einen bestimmten Personenkreis, zu dem die einzelnen Widerspruchsführer jedoch nicht gehören. Einen weiteren Ermessensspielraum gibt die angewandte, einschlägige Tarifstelle selbst jedoch nicht her“.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.