Sonntagsschule auf Backblechen

Pastor Torsten Milkowski (Zweter von links)) zeigt Bürgermeister Sören Benn (Zweiter von rechts) im Keller der Brotfabrik, unter welchen beengten Bedingungen einst die Gemeindearbeit begann. | Foto: Bernd Wähner
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Brotfabrik: Der Name dieses Kulturzentrums am Caligariplatz ist weit über die Grenzen Weißensees hinaus bekannt. Aber woher kommt er?

Sie ahnen es: In diesem Gebäude befand sich tatsächlich mal eine Brotfabrik. Sie gehörte ab etwa 1880 dem Bäckermeister August Lehmpfuhl (1852 bis 1931). Seinerzeit gab es rings um die damalige Gemeinde Weißensee noch weitläufige Felder. Die befanden sich unter anderem auch auf großen Teilen des heutigen Ortsteils Prenzlauer Berg. Dort entstanden entlang der Straßen etliche Brauereien, in denen das Getreide zu Bier „veredelt“ wurde.

In Weißensee entstanden indes zahlreiche Backfabriken, in denen das ringsum angebaute Getreide zu Brot verarbeitet wurde. Manch einer gab dem Ort seinerzeit sogar den Namen „Backstube von Berlin“. Und einer der Bäcker, die diesen Ruf begründeten, war August Lehmpfuhl. Dieser wurde durch sein Handwerk ein wohlhabender Mann. Er erweiterte seinen Betrieb stetig. Aus der Bäckerei mit Laden wurde ein richtiger Gebäudekomplex. Im Hof entstand zum Beispiel eine Remise, in der die Pferde für alle nötigen Transporte standen. Und es entstanden Wohnräume. Die Bäckersfamilie wohnte in der Beletage.

Weiterhin baute August Lehmpfuhl auch den Raum, der heute als „Neuer Salon“ vom Team der Brotfabrik für Veranstaltungen genutzt wird. Und in diesem Raum kann man jetzt auch erfahren, wie dieser August Lehmpfuhl einmal ausgesehen hat. Hinter einer Glasscheibe in einer Wandaussparung hängt nämlich seit einigen Tagen ein gemaltes Porträt des Bäckermeisters.

„Dieses Bild ist bereits etwa hundert Jahre alt“, berichtet Torsten Milkowski. Er ist Pastor der Weißenseer Baptistengemeinde. Diese übergab im Beisein von Bürgermeister Sören Benn (Die Linke) dieses Bild als Dauerleihgabe an das Kulturzentrum Brotfabrik.

August Lehmpfahl war nicht nur Unternehmer, er war auch sozial sehr engagiert und gründete die Weißenseer Baptistengemeinde. Es war im Jahre 1881, als sich Lehmpfuhl entschied, sich an Sonntagen nicht nur auszuruhen, sondern etwas für das Allgemeinwohl zu tun. „Seinerzeit gab es viele arme Kinder auf den Straßen“, berichtet Pastor Milkowski. „Lehmpfuhl drehte einfach die Backbleche in seiner Backstube um, sodass man auf ihnen sitzen konnte. Dann lud er Kinder von der Straße in eine Sonntagsschule ein. Denen brachte er anhand von Bibeltexten das Lesen und Schreiben bei. Und natürlich gab es für die Kinder auch immer etwas zu essen.“

Die Sonntagsschule begann Lehmpfuhl im Frühjahr mit sechs Kindern. Zu Weihnachten 1881 kamen bereits vierzig regelmäßig. Dieses Engagement sprach sich auch bei Erwachsenen herum. Auch sie kamen, um zu lernen oder um den Bäckermeister zu unterstützen. Aus diesen freiwilligen Zusammenkünften entstand schließlich eine Baptistengruppe, aus der sich 1906 die eigenständige Weißenseer Baptistengemeinde gründete.

Weil immer mehr Menschen zu diesen Sonntagstreffen kamen, wurde es in der Bäckerei schon bald viel zu eng. Deshalb suchte und fand die Gemeinde immer neue, größere Orte für ihre Zusammenkünfte. Im Jahre 1910 konnte dann an der heutigen Friesickestraße 15 eine eigene Kirche einweiht werden, die offiziell Immanuel-Kapelle heißt. Gebaut wurde sie, so viel ist überliefert, vom Friedrichshagener Bauunternehmer Spuhn.

Sozial engagiert ist die 180-köpfige Gemeinde bis heute. Seit 14 Jahren nimmt sie zum Beispiel an der Aktion Laib und Seele teil. Jede Woche werden in den Gemeinderäumen Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Derzeit sind es 550 Menschen, die dort regelmäßig versorgt werden, berichtet Pastor Milkowski.

Dass die Geschichte der Gemeinde mit dem sozialen Engagement von August Lehmpfuhl begann, das bekam der Pastor erst so richtig mit, als sich die Zusammenarbeit mit dem Team der Brotfabrik zu intensivieren begann. Deren Geschäftsführer Jörg Fügmann fragte ihn vor einem Jahr mehr beiläufig, ob er wisse, dass sich im Keller der Brotfabrik die Keimzelle der Baptistengemeinde befindet. Und er zeigte dem Pastor den inzwischen wieder freigelegten und wieder begehbaren Keller.

„Diese Geschichte kannten wir als Gemeinde noch nicht“, sagt Milkowski. „Zeitgleich gab es Hinweise, dass es noch ein Bild von August Lehmpfuhl gibt.“ Dieses Porträt hing wohl ursprünglich in der Immanuel-Kapelle. Irgendwann wurde es, aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen, einer Familie aus der Gemeinde übergeben und hing bei den Nachfahren im Wohnzimmer.

Das Gemälde entstand in Öl auf Leinwand. Geschaffen wurde es 1919 vom Bäckermeister und Maler Georg Morét. Die Zeit hinterließ inzwischen ihre Spuren auf dem Bild. „Wir hatten die Idee, es der Brotfabrik als Dauerleihgabe zu übergeben“, so Milkowski. „Aber weder wir, noch die Brotfabrik haben das Geld für eine aufwendige Restaurierung.“ Doch dann entschloss sich der international bekannte Maler Christopher Lehmpfuhl, sich des Bildes anzunehmen. Er ist ein Urenkel des Gemeindegründers. Zwar ist er kein Restaurator, aber er versetzte das Bild in so einen Zustand, dass es öffentlich präsentiert werden kann.

Dass inzwischen so viel über August Lehmpfuhl bekannt ist, liegt vor allem an Jörg Fügmann und seinem Team. „Wir arbeiten Stück für Stück die 150-jährige Geschichte unseres Hauses auf“, sagt er. Und er kann berichten: Bis 1952 wurde tatsächlich noch Brot gebacken. Danach hatte dort bis 1972 eine Seltersfabrik ihren Sitz. Nach deren Schließung wurden die Räume bis 1986 als Lagerraum genutzt. 1988 wurde das Haus zunächst zum FDJ-Jugendklub und nach 1990 zum Kulturzentrum Brotfabrik.

Autor:

Bernd Wähner aus Pankow

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