Rund um Berlins allergrößten Hosenknopf
Stadtführung: Am 21. Dezember 2019 geht’s zum Nikolaikirchplatz
Zu meinen 179. monatlichen Stadtspaziergang lade ich Sie auf den Urgrund Berlins ein, zum Nikolaikirchplatz.
Fast alles gibt es in dieser Stadt doppelt – also auch die Nikolai-Türme. Zuerst hatte in den 1870er-Jahren Magistratsstadtbaurat Blankenstein beim damaligen Umbau der ersten Stadtkirche Berlins den gotischen Spitzturm durch zwei neugotische ersetzt. Im Sommer 1982 standen wieder neue Spitzen, nun mit fertiger Kupferhaut unten, diesmal nach Vorbild des altgotischen Turms verdoppelt.
Das nahe Ephraimpalais heißt nach seinem Bauherrn, dem „Schutzjuden“ Veitel Heine Ephraim, Hofjuwelier und Münzpächter. Der hatte für Friedrich II. im Geheimen den Siebenjährigen Krieg finanziert, dabei auch sächsische Silbergroschen und Taler-Goldstücke fälschen lassen. Zur NS-Zeit musste solch Erinnerung verschwinden. Drum ließ man 1936 die schönste Ecke Berlins zum Neubau der Mühlendammbrücke abtragen. Wussten Sie, dass in Wedding weit über tausend nummerierte Teile für spätere Verwendung eingelagert waren?
In den 80er-Jahren ist das Palais Ecke Postraße knapp zwölf Meter nördlich des alten Standorts nach originalen Plänen wieder aufgebaut worden. Übrigens war der Wiederaufbau des Palais vorher schon an zwei anderen Standorten geplant gewesen: zuerst Ende der 60er in der historischen Häuserzeile am Markischen Ufer/Ecke Insel- und Wallstraße. Dafür wurden Originalteile aus dem Westen noch verwehrt. Bald darauf sollte es in Kreuzbergs Lindenstraße für die Jüdische Abteilung des Berlin-Museums errichtet werden. Doch Diterichs Pläne lagen in Mitte, und der Bau galt dann auch als zu teuer
Nach der Enttrümmerung war das historische Nikolaiviertel bloß eine weite Rasenfläche mit Nikolaikirchruine gewesen, nachts ein gruseliger Ort. Nur an der alten Poststraße stand noch einige Häuser, sogar das unzerstörte Knoblauch’sche – fast zur gleichen Zeit wie Ephraims Palais für den Nadlermeister Knoblauch gebaut. Der wurde als Lieferant des Preußischen Heeres reich. Berlin kaufte es Ende der 20er-Jahre von den Erben. Ende der 40er wurden pro Etage drei Wohnungen eingebaut. Unterm Dach quartierten sich gerne Studenten ein, im Parterre residierten jahrzehntelang die Historischen Weinstuben.
In einem frühen Stadtforumsentwurf des Architekten Richard Paulick von 1949/50 ragten erneuerte Nikolai-Doppeltürme über moderne Wohnblöcke an Spandauer und Rathausstraße. Dann vergingen 30 Jahre wechselnder Planungen, bis das Nikolaiviertel als ältester Grund Berlins wiederbelebt werden sollte. Der Entwurf des Architekten Günter Stahn (1939-2017) setzte sich mit einer Kombination von großräumiger Moderne und „alt-neuer" Historie durch. Seit der Fertigstellung zur 750-Jahr-Feier gilt das Viertel als eine Art gute Stube der Stadt, nach unterschiedlichen Geschmäckern: Auf drei Seiten moderne Wohnhäuser – samt Spitzgiebeln aus den Plattenbau-Sortiment und innen eine immer wieder verblüffende Mischung von ganz Verschiedenem: Nachempfundene mittelalterliche Häuserzeilen, spätere Bürgerhäuser, Brunnen und Plastiken. Echtes, Kopiertes, Nacherfundenes, Umgesetztes. Beim „Paddenwirt“ gehört selbst eine alte Rippe wieder zum Inventar und die von Heinrich Zille gezeichnete und von Otto Nagel gemalte Gaststätte „Zum Nußbaum“ vom alten Fischerkietz feierte samt Baum ihre Auferstehung.
Als wollten sich die Ausstatter des Viertels über eigenen Übermut lustig machen, legten sie das erste überkommene Siegel Berlins aus dem Jahre 1253 direkt vor den Kircheneingang. Allerdings hatte das Dokumenten-Original, mit bescheidenen 65 Millimetern Durchmesser auf die Macht der askanischen Markgrafen Johann und Otto verweisend, den 2. Weltkrieg nicht überstanden. Die Nachbildung vom Bildhauer Gerhard Thieme geriet 2,20 Meter groß und besteht aus haltbarer Bronze. Diesen mächtigen Hosenknopf im Stile des Riesen Gargantua, der die Stadt in der Mitte zusammenhalten soll, gibt es aber nur einmal!
Der vorweihnachtliche Spaziergang beginnt am 21. Dezember 2019, um 11 Uhr. Treff: Am Ephraimpalais Mühlendamm/Ecke Poststraße. Die Führung ist für Leser der Berliner Woche kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: am Freitag, 20. Dezember 2019, von 10 bis 12 Uhr anrufen unter 887 27 74 14.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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