Flüchtlinge spielen in einem Kinofilm mit
Lichtenberg.
„Alle auf ihre Position! Und bitte!“, hallt es durch die alte Lokhalle. Dann sind plötzlich alle ganz still und die beiden Hauptdarsteller laufen in die Szenerie. Viermal müssen sie ihren Dialog wiederholen, dann ist die Szene im Kasten. Bis zum 13. Oktober laufen die Dreharbeiten für einen ungewöhnlichen Film „made in Berlin“.
„Alle in einem Boot“ heißt das Werk, hinter dem Filmproduzent Christof Düro (53) und der Münchner Regisseur Tobias Stille stecken. Der Film soll im Frühjahr 2018 in die Kinos kommen. Das Besondere ist, dass der Streifen lediglich mit einem Budget von rund 50 000 Euro realisiert wird, obwohl die Kosten für ein solches Projekt normalerweise bei fünf bis sechs Millionen liegen, erzählt Düro.
Nur aufgrund der Unterstützung zahlreicher Partner, wie zum Beispiel den DRK-Behindertenwerkstätten Potsdam, dem Arbeiterwohlfahrt-Landesverband Berlin und dem Landesverband Thüringen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands sowie einer Crowdfunding-Kampagne sei dies überhaupt möglich. Dazu verzichten alle Schauspieler und Crewmitglieder auf eine Gage und sind nur prozentual an einem möglichen Gewinn beteiligt.
Doch weil es ein außergewöhnliches Filmprojekt ist, nehmen alle diesen Aufwand gern in Kauf. Es ist ein Film über die Bedingungen von Flucht gestern, heute und morgen. Er handelt von einer Theatergruppe, die die Geschichte der St. Louis nacherzählen will, einem Schiff, auf dem sich 1939 jüdische Flüchtlinge vor den Nazis retten und nach Kuba übersetzen wollten. Nachdem sie dort jedoch nicht an Land gehen durften, wurden sie zurück nach Europa geschickt.
In Antwerpen durften sie schließlich das Schiff verlassen und wurden dann auf Belgien, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien verteilt. Um dieses Schicksal nachzuerzählen und eine Verbindung zur Gegenwart zu schaffen, kommt die Theatergruppe auf die Idee, Flüchtlinge aus einer benachbarten Flüchtlingsunterkunft in die Geschichte zu integrieren. Denn sie befindet sich neben dem Theater. So spielen Flüchtlinge beispielsweise Nazis von damals und Schauspieler Flüchtlinge von heute.
„Alle in einem Boot“ verpackt all dies in einer Geschichte, „die zum Überlegen anregen soll“, so Düro. Die Botschaft sei, dass sich die Not geflüchteter Menschen damals und heute kaum unterscheide. Der Film habe jedoch auch seine komödiantischen Stellen, erzählt Düro. Seit 2003 lebt er in Hohenschönhausen und arbeitet mit caritativen Verbänden zusammen. Einen Film dieser Größenordnung, in dem er auch selbst in einer Nebenrolle zu sehen ist, produziert er zum ersten Mal.
Die Filmcrew umfasst 70 Leute, darunter 22 Schauspieler und 15 Geflüchtete. Einer von ihnen ist Faisal (24) aus Afghanistan. Seit Dezember 2015 lebt er mit seinen beiden Schwestern und seinen Eltern in einer Gemeinschaftseinrichtung in Lichtenberg.
Bei den Dreharbeiten zu „Alle in einem Boot“ lernt er als Praktikant die verschiedenen Aufgabenbereiche einer Filmproduktion kennen, von Kostüm über Kamera, Ton und Schauspiel. Die Arbeit mache ihm großen Spaß, erzählt er. Vor seiner Flucht nach Deutschland arbeitete er in Kabul als Englischlehrer.
Ihn und weitere Geflüchtete, unter anderem aus Syrien, dem Iran, Mazedonien, Somalia und Ägypten, haben Christof Düro und Tobias Stille für diesen Film vereint. Es gehe ihnen darum, die Angst vor dem Fremden zu nehmen und auf die einzelnen Leute zuzugehen – ein hochaktuelles Thema, insbesondere nach der Bundestagswahl. „Deswegen muss man so einen Film machen“. Damit dieser am Ende auch Erfolg hat, wird derzeit noch ein guter Verleih gesucht. „Mein Traum ist zudem eine Festivalpremiere in Cannes oder bei der Berlinale.“, sagt Düro. PH
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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