Die Opferperspektive ist entscheidend
ReachOut dokumentiert seit Jahren rechte, rassistische und antisemitische Angriffe in Berlin

Eine Karte, die das Ausmaß rassistischer Angriffe in Berlin deutlich macht.  | Foto: TEKTEK
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  • Eine Karte, die das Ausmaß rassistischer Angriffe in Berlin deutlich macht.
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Die Karte im Internet ist übersät mit Markierungen. Jede dokumentiert den Angriff auf einen oder mehrere Menschen. Und jeder Angriff hat einen rassistischen, rechten oder antisemitischen Hintergrund. Die digitalen Karten werden vom Projekt ReachOut des Vereins „Ariba – antirassistische interkulturelle Bildungsarbeit“ jährlich erstellt.

Die Zahlen für 2020 wurden kürzlich von ReachOut vorgestellt. „Im vergangenen Jahr haben wir 357 Angriffe erfasst, die insgesamt 493 Personen betrafen“, sagt Sabine Seyb, Sprecherin des ReachOut-Projekts. „Von den Betroffenen waren 37 Kinder und 38 Jugendliche. 144 waren Frauen, deren Anteil aber auch seit Jahren kontinuierlich steigt.“

Angeführt wird die Liste von Körperverletzung (179), gefährlicher Körperverletzung (118) und massiven Bedrohungen (53). Die meisten Angriffe fanden in Mitte (60), Friedrichshain-Kreuzberg (53) und Neukölln (34) statt. Tatorte sind zumeist Straßen und Plätze (155) oder Bahnhöfe, Haltestellen und öffentliche Verkehrsmittel (78). Bei den Motiven benennt die ReachOut-Statistik mit Abstand auf Platz eins Rassismus mit 196 Fällen, gefolgt von LGBTQ*-feindlichen (93), antisemitischen (28) und politisch motivierten Angriffen (18). Zwar ist die Gesamtzahl im Vergleich zu 2019 (390 Angriffe) leicht gesunken, aber das ist für Sabine Seyb kein Grund zur Entwarnung: „Im Gegenteil – angesichts der Tatsache, dass sich pandemiebedingt viel weniger Menschen im öffentlichen Raum bewegen, sind die Zahlen des vergangenen Jahres auf einem erschreckend hohen Niveau.“ Gründe dafür sieht sie neben einer zunehmenden Aggression und Enttabuisierung von Gewalt gegenüber diskriminierten Bevölkerungsgruppen unter anderem auch in den Zusammenstößen im Umfeld der vielen Anti-Corona-Demonstrationen.

Dass von den 357 Fällen laut Seyb aber nur 261 wirklich zur Anzeige gebracht wurden, ist wohl dem Umstand geschuldet, dass für ReachOut bei der Erfassung und Definition eines Angriffs klar die Perspektiven und Wahrnehmungen der Betroffenen im Vordergrund stehen. Darüber hinaus sollten weitere Anhaltspunkte zu den Tatumständen vorliegen, wie beispielsweise rassistische Beleidigungen, das Äußere der Betroffenen oder politisch beziehungsweise rassistisch motivierte Bedrohungen im Vorfeld. Es werden aber auch bereits vermeintlich „leichte“ Bedrohungen und Nötigungen dokumentiert, ebenso Sachbeschädigungen, bei denen Menschen theoretisch zu Schaden hätten kommen können. Die ReachOut-Statistik umfasst damit weitaus mehr Vorfälle als nur reine Gewaltdelikte im juristischen Sinne.

Sabine Seyb von ReachOut. | Foto: ReachOut
  • Sabine Seyb von ReachOut.
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Berücksichtigt werden neben Meldungen betroffener Opfer auch Zeugenaussagen und Beobachtungen von Unbeteiligten, die bei der ReachOut-Beratungsstelle, bei kooperierenden Organisationen, dem Berlin-Register und bezirklichen Registrierungsstellen eingehen. Ergänzt durch intensive Medienanalysen fließen die Daten in eine interaktive Karte sowie in eine genaue Chronik der Vorfälle, die zu denken gibt und die Bevölkerung sensibilisieren soll. Neben dieser Öffentlichkeitsarbeit betreibt das achtköpfige ReachOut-Team eine intensive Bildungsarbeit und bietet vor allem Opfern und Zeugen Hilfe unter anderem beim weiteren juristischen Vorgehen an.

Die Polizei kann derweil die Zahlen von ReachOut auf Anfrage der Redaktion weder bestätigen noch dementieren, hält aber die Projektarbeit für förderlich: „Jede Institution, die den Opfern und Zeugen von fremdenfeindlicher Gewalt Unterstützung – auch auf dem Weg der Anzeigenerstattung – bietet, unterstützt auch die Arbeit der Polizei, sowohl repressiv als auch präventiv“, sagt Anja Dierschke, stellvertretende Pressesprecherin im Berliner Polizeipräsidium.

Weitere Informationen gibt es im Internet auf www.reachout.de.

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Sabine Seyb von ReachOut. | Foto: ReachOut
Autor:

Michael Vogt aus Prenzlauer Berg

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