1:5 gegen England 1908 auf dem Viktoriaplatz: Erstes Heim-Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalelf

Thomas Schneider neben der Infotafel in der Eisenacher Straße. Für die Fußballroute hat er umfangreiche Recherchen angestellt. | Foto: Philipp Hartmann
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Es ist schon viel Fantasie nötig, um sich vorzustellen, dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hier einst gegen den Ball trat. Generationen vor Thomas Müller, Jerome Boateng und Manuel Neuer war der Viktoriaplatz vor mehr als einem Jahrhundert Schauplatz eines historischen Ereignisses.

Am 20. April 1908 empfing Deutschland vor 6000 Zuschauern eine englische Amateur-Auswahl zum ersten Länderspiel auf heimischen Boden und zweiten Länderspiel insgesamt. Die Nationalelf, die damals noch den Reichsadler auf der Brust trug, verlor das Duell damals mit 1:5. Heute befinden sich an selber Stelle Tennisplätze und ein Handballfeld. Eine grüne Plane versperrt von außen die Sicht auf den Platz. Lediglich der von Unkraut bewachsene Erdwall ringsherum erinnert noch an längst vergangene Zeiten. Die aufgeschüttete Erde diente früher als Tribüne, von der aus die Zuschauer das Geschehen verfolgen konnten.

Eine Infotafel vor dem Wohnhaus in der Eisenacher Straße 21 zeigt zwei der nur ganz wenigen erhaltenen Fotos des ersten Heim-Länderspiels. Sie ist Teil der 2015 eröffneten Fußballroute Berlin, die Interessierte zu historischen Fußballorten in der Stadt führt. Entwickelt haben sie der studierte Kulturwissenschaftler Thomas Schneider und sein Freund Daniel Küchenmeister. Schneider (47) wuchs in Mariendorf auf und spielte als Kind selbst Fußball auf den Plätzen in der Umgebung. Sein großes Interesse an dem Sport animierte ihn zu umfangreichen Recherchen. Als 2012 der Vize-Präsident des Berliner Fußballverbands, Gerd Liesegang, einen Sponsor gefunden hatte und mit der Anfrage auf ihn zukam, folgte der Startschuss zur Umsetzung der Route. Die insgesamt 40 Tafeln im Stadtgebiet kosteten 180.000 Euro inklusive Material, Honoraren und Bildrechten.

Um an Informationen zu kommen, besuchte Thomas Schneider viele Berliner Vereine. Dabei stellte er fest, dass diese sich kaum für die Vergangenheit interessierten. In alten Schränken und Kellern fand er teilweise richtige Schätze. So entdeckte er im verstaubten Hinterzimmer der Kneipe „Bose Eck“ in der Manteuffelstraße den im deutschen Fußball ältesten überhaupt ausgespielten Pokal von 1892. Die Silber-Trophäe hatte der BTuFC Viktoria 1889 aus Tempelhof gewonnen. „Die war völlig verdreckt und wurde einfach vergessen. Ich musste die Schicht erstmal mit den Fingernägeln abkratzen. Niemand wusste davon“, erzählt Schneider. Viktoria war in den 1890er-Jahren fünfmal in Folge Deutscher Meister, noch bevor überhaupt der DFB existierte.

Bei seinen Nachforschungen war ihm der Deutsche Fußball-Bund keine große Hilfe, sagt Thomas Schneider. Auch dort wurde kein großes Interesse an der eigenen Geschichte aufgebracht. Im Sportmuseum von Basel in der Schweiz, wo die deutsche Elf am 5. April 1908 zum ersten Länderspiel überhaupt antrat und 3:5 verlor, fand er ein ganzes Album mit bis dato unbekannten Fotos von diesem Spiel. Für den DFB wäre das Auftreiben der Fotos eigentlich ein Leichtes gewesen, denn die Schweizer wussten laut Schneider schon ewig von deren Existenz.

Lederbälle, die schwer wie Blei wurden

Das Stöbern in den Archiven machte Schneider zum Experten der deutschen Fußballhistorie. Durch seine lebendigen und detaillierten Erzählungen bekommt der Zuhörer den Eindruck, er wäre beim Heimdebüt 1908 auf dem Viktoriaplatz selbst dabei gewesen. Im Tor stand damals der Berliner Paul Eichelmann, der noch ohne Handschuhe spielte. „Der hatte den Ruf, ein Verrückter zu sein“, erzählt Schneider. „Die Trikots wurden gewaschen und wieder getragen. Die Fußballschuhe waren hochgeschlossene Stiefel und der Ball aus Leder und genäht. An der Stelle der Naht konnten sich die Spieler beim Kopfball verletzen“, sagt er. Ersatzbälle gab es nicht. „Bei Regen wurde der Lederball schwer wie Blei.“

Der Spielball der WM 2018 hingegen besteht aus Kunststoff und enthält sogar einen Chip, der es Fans ermöglicht, übers Smartphone personalisierte Daten abzurufen und mit dem Ball zu interagieren. Wie sich die Zeiten geändert haben. Trotz der Liebe zur Geschichte kann Thomas Schneider auch dem modernen Fußball etwas abgewinnen und sagt: „Ich werde bei der WM alle Spiele schauen, die möglich sind.“

Autor:

Philipp Hartmann aus Köpenick

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