Wie der "Polier einer Großbaustelle"
Jahresinterview mit Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD)

Akkus aufladen und dann die Ärmel hochkrempeln! Für Reinhard Naumann, SPD-Rathauschef von Charlottenburg-Wilmersdorf, und den Rest des Bezirksamtskollegiums gilt es auch 2019, schwere Aufgaben zu meistern.  | Foto: Matthias Vogel
  • Akkus aufladen und dann die Ärmel hochkrempeln! Für Reinhard Naumann, SPD-Rathauschef von Charlottenburg-Wilmersdorf, und den Rest des Bezirksamtskollegiums gilt es auch 2019, schwere Aufgaben zu meistern.
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Hochhauspläne, Autobahnumbau, umfängliche Anforderungen an die Integrationsarbeit, explodierende Mieten – es ist nicht einfach, den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf durch das Meer von Begleiterscheinungen der wachsenden Stadt zu navigieren.

Wie ein "Polier einer Großbaustelle" versucht Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) unverdrossen, die komplexen Aufgaben zu lösen. Die Berliner Woche ließ ihn auf das abgelaufene Jahr zurückblicken und einen Ausblick auf 2019 wagen.

Die Themen Entmietung, Verdrängung der Menschen aus ihren Kiezen, explodierende Wohnkosten und Milieuschutz beherrschten 2018 den politischen Diskurs. Wie werten Sie die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt?

Reinhard Naumann: Der Aufschwung der City West innerhalb der vergangenen zehn Jahre ist über die Stadtgrenzen hinaus als sehr positiv wahrgenommen worden. Wir müssen aber nun zur Kenntnis nehmen, dass die Bevölkerungsdurchmischung in den Kiezen, auf die wir im Vergleich zu Paris oder London so stolz sind, vor dem Hintergrund der Immobilien- und Bauspekulation droht, unter die Räder zu kommen. Die Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung hat längst auch weite Kreise der gehobenen Einkommensklasse ergriffen.

Wie kann die Politik auf kommunaler Ebene dem entgegenwirken?

Reinhard Naumann: Die Instrumentarien dagegen vorzugehen, sind tatsächlich sehr begrenzt – Stichwort Milieuschutz. Wir sind da ja einen entscheidenden Schritt weiter, haben die ersten beiden Kieze mit der sozialen Erhaltungssatzung definiert, weitere werden folgen. Die Erwartungshaltung der Bürger an die Politik geht aber darüber hinaus – parteiübergreifend. Das Land Berlin ist auf Bundesebene aktiv geworden, hat gefordert, dass der Bund den Ländern mit veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen zur Seite steht. Solche Vorstöße des Senats kann man nur unterstützen. Aber Metropolen-Probleme sind eben nicht gleich Landesprobleme. Fakt ist: Es ist die Aufgabe der Politik – und zwar weit über die Spitze des Rathauses Charlottenburg hinaus –, sich nicht nur Gedanken zu machen, sondern auch zu Lösungen zu kommen. Wir sind glücklich über den Aufschwung unserer City West, aber er darf nicht zum Patent für den Ausverkauf pervertieren.

Seit der großen Einwanderungswelle von Geflüchteten 2015 ist der Bezirk auch in Sachen Integrationsarbeit massiv gefordert. Das Thema ist Ihnen persönlich sehr wichtig. Wie sehen die nächsten Bemühungen aus?

Reinhard Naumann: Es geht mir um die Verstetigung und Nachhaltigkeit für einen erfolgreichen Integrationsprozess. In unserem Gespräch für das Jahresinterview 2017/18 habe ich auf die Dringlichkeit eines personell stark besetzten Integrationsbüros hingewiesen, und da konnten wir jetzt im Spätherbst Vollzug melden. Acht qualifizierte Beschäftigte kümmern sich mittlerweile um die Belange neuer Mitbürger sowie die bereits lange hier bestehenden Communities. Gerade die Geflüchteten, die eine Bleibeperspektive haben, möchten selbst zu einem wertvollen, aktiven Teil unserer Gesellschaft werden. Auf diesem Weg müssen wir sie unterstützen. Gleichermaßen halte ich es für erforderlich, uns wieder stärker den Menschen zuzuwenden, die bereits in dritter und vierter Generation ihr Zuhause hier haben. 40 Prozent der rund 340 000 Menschen in unserem Bezirk haben einen Migrationshintergrund. Da sind auch viele EU-Bürger dabei, dennoch wird diese Zahl gerne unterschätzt. Wir krempeln nun verstärkt die Ärmel hoch, die perspektivische Entwicklung des Wilmersdorfer Pangea-Hauses zu einem interkulturellen Zentrum ist ein gutes Beispiel.

Wie gehen Sie mit Vorbehalten innerhalb der Gesellschaft um? Nicht überall stoßen etwa geplante Flüchtlingsunterkünfte auf Gegenliebe.

Reinhard Naumann: Die ganze Debatte um Integration wird für meine Begriffe viel zu sehr unter negativem Vorzeichen geführt. Positive Beispiele sehen wir als Gesellschaft viel zu selten. Wir sollten mehr Gemeinsamkeiten nennen und weniger das Trennende hervorheben. Denn viele Menschen mit Migrationshintergrund gehen hier – wie alle anderen auch – Tag ein, Tag aus zur Arbeit, haben hier ihre Kinder in der Schule. Da müssen wird noch genauer hinschauen, wo es Diskriminierungstatbestände gibt. Warum haben Menschen, die Naumann oder Vogel heißen, bei der Bewerbung auf einen Job bessere Chancen als Menschen mit ausländisch klingenden Namen? Es gibt Hinweise auf fehlende gesellschaftliche Akzeptanz, und auch genau dafür haben wir das Integrationsbüro eingerichtet. Auf der anderen Seite haben wir in der Westender "Ulme 35" und dem Projekt „Nachbarschafft“ im Volkspark Wilmersdorf zwei herausragende Beispiele für bürgerschaftliches Engagement. Dort sind Nachbarschaft und Integration bestens miteinander unterwegs. Die Kritik an den MUFs haben wir vernommen. Deshalb versuchen wir, es bei den 580 projektierten Plätzen für die Unterkunft in der Quedlinburger Straße nicht zur Belegung mit ausschließlich geflüchteten Menschen kommen zu lassen. Studierende sollen mit hinein. Da sind wir noch im Gespräch mit dem Senat, der wiederum zu Recht erwartet, dass wir dann anderweitig Kapazitäten schaffen. Das ist unserem Bezirk ob fehlender Flächen nicht einfach.

Worauf liegt das Augenmerk des Bezirks im neuen Jahr?

Reinhard Naumann: Unsere Bildungslandschaft ist uns sehr wichtig. Dazu gehört neben den Schulen auch der Kita-Bereich. Da fehlen uns bis zum Jahr 2020 noch 1600 Plätze und wir sind wirklich hinterher, das zu schaffen. Auf Initiative von Jugendstadträtin Heike Schmitt-Schmelz wird in der Jungfernheide eine Kita entstehen, danach ist die Sömmeringstraße an der Reihe, und so weiter. Das Problem wird sein, auch genügend Erzieher zu finden. Das können wir alleine im Bezirk nicht lösen.

Da wären wir bereits bei der nächsten Baustelle: fehlendes Personal. Auch in Ihrem Hause sind zahlreiche Stellen unbesetzt. Wie gedenken Sie, diesen Missstand zu beheben?

Reinhard Naumann: Die Vakanzen sind Folge des viel zu lange währenden Stellenabbaus. Positiv ist, dass der Senat im Zuge der stetig wachsenden Stadt seinen Sparkurs aufgegeben hat und wir endlich wieder einstellen dürfen. Aber von den Personaleinbrüchen der letzten 20 Jahren erholt man sich nicht von heute auf morgen. Der Stellenabbau hat natürlich auch das Personalmanagement betroffen. Das muss jetzt erst mal wieder aufgebaut werden. So haben wir ein zentrales Bewerbungsbüro eingerichtet. Der Bürger erwartet eine funktionierende Verwaltung, ihn interessiert nicht, warum etwas nicht klappt. Der Senat hat deshalb zusammen mit den zwölf Bezirksbürgermeistern drei Arbeitsgruppen eingesetzt, die bezüglich Personalentwicklung, Prozesssteuerung und Digitalisierung zeitnah nach Verbesserungen streben. Damit ist das Schwarze-Peter-Spielchen beendet. Es wird gemeinsam geguckt, wie die Verwaltung optimiert werden kann.

Wohnraum ist knapp, in die Höhe zu bauen wird als eine Lösung des Problems heiß diskutiert. Investoren für Hochhäuser in der City West gibt es genug. Wie stehen Sie dazu?

Reinhard Naumann: Es ist wichtig, in die Höhe zu gehen, um auch neue Wohnfläche zu bekommen. Dabei darf aber nicht die Renditeoptimierung im Vordergrund stehen, die Entwicklung muss mit der urbanen Aufenthaltsqualität einhergehen. Und wir brauchen mit Blick auf den Campus Charlottenburg auch endlich mehr Wohnraum für Studierende in der City West. Eine Betrachtung von einzelnen Hochhaus-Vorhaben ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Deshalb warten wir händeringend auf den Hochhausentwicklungsplan der Senatsbauverwaltung, denn wir wollen Wildwuchs vermeiden. Der muss jetzt zeitnah kommen, damit Worten Taten folgen können. 

Ein anderes Mammutprojekt kommt auf den Bezirk zu. Die DEGES baut die A100 um. Sie würden bei der Planung gerne stärker mit einbezogen werden, die DEGES scheint darauf verzichten zu wollen. Nervt Sie das?

Reinhard Naumann: Klar! Für uns geht es auch hier um Flächengewinnung für die Stadtentwicklung. Der Bezirk hat einen guten, kreativen Vorschlag gemacht, und wir erwarten, dass das Land diesen Vorschlag in die Gespräche mit der DEGES einbringt. Wir haben aber die Sorge, dass gar nicht mehr viel Zeit und Raum für Gespräche gegeben ist. Die DEGES ist ja vom Bund beauftragt und möchte wohl ihre ursprüngliche, wenig kreative Planung durchziehen. In jedem Fall werden Planung und Durchführung eine Herkulesaufgabe für alle Beteiligten, und zwar bis mindestens 2030.

Haben Sie jetzt Gelegenheit, sich ein wenig zu erholen? Was wünschen Sie sich für das neue Amtsjahr?

Reinhard Naumann: Durch die Erkrankung meines Stellvertreters, Sozialstadtrat Carsten Engelmann, ist das Bezirksamtkollegium seit März 2018 nur zu viert im Rathaus. Die Herausforderungen eines Bezirks mit 340 000 Einwohnern zu wuppen, auch noch mit der City West im Fokus, das macht sich bei uns allen kräftemäßig stark bemerkbar. Ich wünsche mir mit Blick auf das neue Jahr, dass der Kollege wieder gesundet und wir alsbald wieder zu fünft sind. Jetzt gilt es, über Weihnachten die Batterien wieder aufzuladen. Mein Mann und ich feiern zunächst im Rheinland den 80. Geburtstag meiner Schwiegermutter und Ende Dezember sind wir erstmals Besucher des Auftaktspringens der Vierschanzentournee in Oberstdorf. Darauf freue ich mich schon sehr!

Autor:

Matthias Vogel aus Charlottenburg

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