Wie der "Anhalter" einmal aussah
Franz Forck scheint zwei Hobbys gehabt zu haben. Fotografieren und Bahnhöfe. Beide hat er miteinander verbunden.
Und deshalb ist das Deutsche Technikmuseum vor Kurzem zu historischen Aufnahmen vom Anhalter Bahnhof gekommen. Sie interessierten das Haus an der Trebbiner Straße schon deshalb, weil sich sein Standort auf dem ehemaligen Gelände der einst größten Berliner Eisenbahnstation befindet. Auch manche Relikte des "Anhalter" sind in der Ausstellung zu sehen.
Die Bilder wurden dem Museum von Gerhard und Sebastian Forck übergeben, Sohn und Enkel von Franz Forck. Der, Jahrgang 1908, hat die Bilder wahrscheinlich Ende der 1920er-Jahre gemacht. Darauf deutet zum Beispiel die Bekleidung mancher Menschen hin. Auch die einer einzelnen jungen Dame ganz in weiss. Die Familie rätselt noch immer, wer diese Frau war.
Den Fotografen können sie nicht mehr fragen. Er starb bereits 1977. Erst danach hat Gerhard Forck die Aufnahmen entdeckt. Ihre Bedeutung war ihm ebenso sofort bewusst wie später Enkel Sebastian.
Dass der Vater und Großvater ein Faible für Kameras und Eisenbahnen hatte, war ebenfalls bekannt. Er sei schon früh "Franz vom Bahnhof" genannt worden, sagt Gerhard Forck. Auch weil er in der Nähe des Anhalter aufgewachsen ist. Zunächst an der Kleinbeeren-, dann an der Stresemannstraße.
Andere Stationen hat er aber ebenfalls in den Blickwinkel genommen. Etwa die Warschauer Straße. Ein Bild von von dort, auch aus den 20er-Jahren, fand Eingang in Sven Heinemanns aktuelles Buch über das Ostkreuz und die Geschichte des Schienenverkehrs in Friedrichshain. Den Fund hat er dem kurzen Draht unter Genossen zu verdanken. Sven Heinemann ist SPD-Mitglied im Abgeordnetenhaus für Friedrichshain, Sebastian Forck Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg.
Nie mehr nach Berlin zurückgekehrt
Franz Forck verschlug es nach Kriegsende zunächst nach Baden-Württemberg, dann nach Hamburg. Sein Ziel sei wohl immer die Rückkehr nach Berlin gewesen, vermutet sein Sohn. Persönliche und berufliche Gründe und auch die Teilung der Stadt hätten das verhindert. Gerhard Forck zog dagegen 2002 mit seiner Familie nach Berlin und arbeitet seither in der Kommunikationsabteilung der Philharmoniker. Seine Wohnung befindet sich ebenfalls an der Stresemannstraße. Nur wenige Meter entfernt vom einstigen Domizil des Vaters.
Dessen fotografische Exkursionen vom Anhalter Bahnhof sind auch deshalb wichtige Fundstücke, weil sie die Station vor ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zeigen. Und das aus verschiedenen Perspektiven. Etwa entlang der langen Bahnhofshalle. Auch die Ausmaße der einstigen Bahnhofsfläche lassen sich einigermaßen nachvollziehen. Sie zeigt sich auch anhand des Modells im Technikmuseum. Die Gleisanlagen des Anhalter Personen- sowie des Güterbahnhofs dehnten sich vom Bereich des heutigen Lilli-Henoch-Sportplatzes und des Tempodroms über den Landwehrkanal bis zum Gleisdreieck-Park. Dort finden sich an manchen Stellen noch Reste von Schienen.
Der Name Anhalter Bahnhof verweist übrigens nicht auf einen Haltepunkt. Vielmehr wurde der Bahnhof von der Anhaltinischen Eisenbahn-Gesellschaft gebaut. Zunächst als nördlicher Endpunkt einer Verbindung nach Dessau, Köthen und weiter nach Halle, also in Richtung des einstigen Fürsten- beziehungsweise Herzogtums Anhalt, heute Teil des Bundeslandes Sachsen-Anhalt.
Truppentransporte und Deportationszüge
Der erste Anhalter Bahnhof wurde am 1. Juli 1841 eingeweiht. Das spätere markante Aussehen bekam er durch den am 15. Juni 1880 eröffneten Neubau. Die Station galt danach als das "Tor zum Süden". Von dort aus verkehrten die Züge nicht nur in Richtung Frankfurt oder München. Sondern auch weiter nach Österreich-Ungarn, Frankreich oder Italien. Er wurde Berlins wichtigster Eisenbahnknotenpunkt, während der beiden Weltkriege auch für Truppentransporte und ab 1942 für Deportationszüge zum Konzentrationslager Theresienstadt in Tschechien.
Beim Bombenangriff am 3. Februar wurde der Bahnhof zu großen Teilen zerstört. Ein Wiederaufbau wäre möglich gewesen, war einige Zeit in der Diskussion, und bis 1952 fuhren von hier noch Züge ab. Dass es anders kam, lag vor allem an der Teilung Berlins.
Übrig geblieben ist nur noch der Torso des Eingangsportals, der nach Bürgerprotesten anders als noch vorhandene Gebäudeteile nicht abgerissen oder gesprengt wurde. Als Mahnung und Erinnerung.
Das alles konnte Franz Forck nicht wissen, als er seine Fotos vom Anhalter Bahnhof machte. Er hat ihn in seinen besten Jahren aufgenommen und damit ein Berliner Zeitdokument hinterlassen.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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