"Heimat ist da, wo die Heimat meiner Kinder ist"
Neukölln. Für Gül-Aynur Uzun, die seit 40 Jahren in Neukölln lebt, ist der Begriff „Heimat“ immer noch zwiespältig. Denn obwohl die zweifache Mutter seit Jahren Integrationsarbeit in Neukölln leistet und dafür sogar ausgezeichnet wurde, bekommt sie keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Am Richardplatz sitzt Gün-Aynur Uzun bei einer Tasse Kaffee vor der Bäckerei neben der Richard-Schule. Hier fühlt sie sich wohl, denn hier lebt sie seit 40 Jahren. Als Neuköllner Stadtführerin im Projekt Route 44 des Vereins "Kultur bewegt" kennt die Ehefrau und Mutter zweier Töchter jeden Winkel in diesem Kiez. Die Geschichte der böhmischen Einwanderer ebenso wie die der späteren Gastarbeiter, zu denen ihre eigene Mutter zählte.
Mitte der 70er-Jahre kam die sechsjährige Gül-Aynur mit Mutter und Bruder. Der Vater blieb in Istanbul. Die Mutter arbeitete bei Osram, die Tochter fühlte sich schrecklich. „Ich vermisste meinen Vater, mein Heim. In meinen Augen hatten wir in Istanbul ein schönes Leben gehabt, hier eine kleine Wohnung mit Außentoilette“, erzählt Gün-Aynur Uzun.
Die ersten sechs Schuljahre in der Karlsgarten-Schule wurde sie in einer rein türkischen Klasse unterrichtet. „Wir sollten gar nicht integriert werden hier. Es war ja vorgesehen, dass wir zurückkehren“, sagt sie.
Später, in der Kurt-Löwenstein-Oberschule, saß Gül-Aynur Uzun als Außenseiterin in einer Klasse mit deutschen Kindern und konnte kaum Deutsch. Nach der Schule brach sie zwei Ausbildungen ab, arbeitete in einer Druckerei. Dort lernte sie Ehemann Cüneyt kennen. 1988 heirateten sie, 1996 kam die erste Tochter Melis während eines einjährigen Aufenthaltes in der Türkei zur Welt.
Diese Ausreise hat bis heute Folgen. Weil Gül-Aynur Uzun versäumt hatte, sich sofort wieder bei der Mutter anzumelden, erlosch ihre Aufenthaltserlaubnis. Seither bekommt sie die nur noch für zwei Jahre. Keine Rolle spielt dabei offenbar, dass Gül-Aynur Uzun seit 2007 Integrationsarbeit leistet, zuerst fünf Jahre als Stadtteilmutter. Dafür erhielt sie Preise, ebenso für ihre Führungen im Rahmen des Projekts „(Zweite) Heimat Neukölln“. Seit 2013 ist die Türkin selbständig und berät Frauen mit Migrationshintergrund im Mutter-Kind-Treff Shehrazad.
Schon vor längerer Zeit hatte sich Familie Uzun einbürgern lassen wollen. „Meine Töchter fühlen sich hier zu Hause, nicht in der Türkei. Und meine Heimat ist da, wo die Heimat meiner Kinder ist.“ Stattdessen könnten sie irgendwann sogar noch in die Türkei abgeschoben werden. Gül-Aynur Uzun: „Das bedeutet für mich, dass ich eigentlich immer noch nicht wirklich hier angekommen bin, in meiner zweiten Heimat Deutschland.“ SB
Autor:Sylvia Baumeister aus Neukölln |
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