Nicht ich habe die Kinder im Stich gelassen, sondern die Politik
Doris Unzeitig, ehemalige Leiterin der Spreewaldschule, rechnet ab

Die Spreewaldschule machte 2018 Schlagzeilen: Gewalt, Drogenhandel, Kriminalität, Obdachlose, Wachschutz. | Foto: KEN
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  • Die Spreewaldschule machte 2018 Schlagzeilen: Gewalt, Drogenhandel, Kriminalität, Obdachlose, Wachschutz.
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Belästigungen von Schülern und Lehrern durch schulfremde Personen, Drogenhandel, Obdachlose auf dem Schulgelände, Clankriminalität, alltägliche Gewalt, Streit um einen Wachschutz und ein Mittagessen für alle Kinder: 2018 stand die Spreewald-Grundschule im Schöneberger Norden im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jetzt hat die damalige Schulleiterin Doris Unzeitig ein Buch veröffentlicht. „Eine Lehrerin sieht rot“ ist ein schockierender Tatsachenbericht – und eine Abrechnung mit Verwaltung und Politik.

Hätte sie es nicht wissen müssen, die Dorfschullehrerin aus dem österreichischen Salzkammergut, die bis dahin nur Kinder von Bergbauern, Hoteliers und Skilehrern unterrichtet hatte, „die darauf brannten zu lernen“? Vom idyllischen Bergland ist sie ins Tiefland der Piefkes hinabgestiegen, in einen „Dschungel“, einen Stadtstaat, der seit Jahrzehnten in der Bildungspolitik die rote Laterne trägt, einen Schulalltag in öffentlichen Schulen, der von allem anderen denn vom Lernen fürs Leben geprägt sein kann. Hätte sie es nicht wissen müssen?

Abgleich des Studiums mit der Wirklichkeit

Darüber ist in den 14 Kapiteln des 250 Seiten starken Buches nichts zu erfahren. Vielleicht hat sich Doris Unzeitig dafür stark genug gefühlt oder dazu berufen. Nach einer verweigerten Beförderung habe ihr Dienstgeber ihr ein Stipendium für eine Fortbildung in Berlin angeboten, einen universitären Ergänzungsstudiengang zum Master in „Interkultureller Erziehung“, schreibt Unzeitig.

Schon während des Studiums ahnte die Autorin: „Die studierten klugen Köpfe an der Universität versuchten, uns ein Weltbild der Diversität und Multikulturalität zu vermitteln, das es vor der Haustür in Berlins Straßen zwar gab, aber nicht in der von ihnen beschriebenen Friedfertigkeit“. Doris Unzeitig machte die Probe aufs Exempel. Zunächst an verschiedenen Grundschulen als Lehrerin, dann als Leiterin der Spreewald-Grundschule. Nach fünf Jahren, im Sommer 2018, schmiss sie hin und ging zurück nach Österreich. „Die Bornhiertheit der Berliner Politik, der tägliche Kampf gegen Windmühlen, haben mich mürbe gemacht.“

Doris Unzeitig hat für ihr Buch sehr viel authentisches Material gesammelt, um ihren „ganz normalen Schulalltag“ minutiös zu schildern. Der Leser begegnet Beleidigungen und Drohungen, brutaler Gewalt unter Schülern und gegen Lehrkräfte, aggressiven und ignoranten Eltern, nutzlosen Polizeieinsätzen und Vorgesetzten, die schweigen und abwimmeln. Es macht betroffen, von verbalen Beleidigungen wie „Schweinefleischfresser“, „Nutte“ oder „Scheißchrist“ zu lesen, von „Nackenklatschen“ und sadistischen „Spielen“ bis hin zu Morddrohungen unter Schülern. Es macht betroffen, von einer Koranschule im Kiez zu lesen, die eine „Konkurrenz“ zur Spreewaldschule sei und „verächtliches Denken über andere Kulturen und Bräuche“ anheize.

Praktisch mit der Situation alleine gelassen

Es macht betroffen, von einer E-Mail des inzwischen in den einstweiligen Ruhestand versetzten Staatssekretärs Mark Rackles (53, SPD) an die Schulleiterin zu erfahren. Es ist eine Art Anleitung, wie sie mit einer Obdachlosen auf dem Schulhof umgehen soll, die sich vor Kindern ihrer Wäsche entledigt und ihr Geschäft verrichtet hat. Der Vorfall wurde von der Schulleitung im Bild festgehalten. Rackles: „Erstens muss das Foto in die Presse, zweitens dürfen Sie die Personen nicht stören oder gar verweisen, nehmen Sie (ggf. schärfere) Fotos auf und dann siehe erstens, drittens MEHR Wachschutz: ,eine einzige Wachschutzperson' kann unmöglich hier hinzugezogen werden und die Frau stören, viertens: bloß nicht den Schulträger belasten; Fäkalfotos bitte grundsätzlich an Schulaufsicht und den zuständigen Staatssekretär, fünftens: Kontakt zu anderen Schulleitungen vermeiden, die ggf. anders mit Fällen wie diesen umgehen.“

Doris Unzeitig zieht ein finsteres Fazit. Für ihren Kampf um schulische Verbesserungen habe sie weder bei den Behörden und Vorgesetzten noch bei ihren Kollegen Unterstützung gefunden. „Ich sehe nicht, dass die Berliner Bildungspolitiker, deren Parteigenossen seit Jahrzehnten eine verfehlte Schulpolitik zu verantworten haben, in absehbarer Zeit eine Veränderung herbeiführen könnten, die es möglich macht, dass auch Kinder in einer Brennpunktschule erfolgreich lernen können.“ Ihr letzter Satz: „Nicht ich habe die Kinder im Stich gelassen, sondern die Politik tut es. Tag für Tag.“

Das im Plassen Verlag Kulmbach erschienene Buch von Doris Unzeitig(ISBN: 9783864706264) kostet 19,99 Euro und als E-Book 17,99 Euro.

Die Spreewaldschule machte 2018 Schlagzeilen: Gewalt, Drogenhandel, Kriminalität, Obdachlose, Wachschutz. | Foto: KEN
Doris Unzeitig hat ihre Erfahrungen aufgeschrieben. | Foto: Plassen Verlag / Repro: KEN
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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