Ein Leben in Extase
Mit Anita Berber im Schöneberger Bermuda-Dreieck

Tanz war ihr Lebensimpuls: Die Schauspielerin Nicola Kothlow gibt Anita Berber. | Foto: KEN
4Bilder
  • Tanz war ihr Lebensimpuls: Die Schauspielerin Nicola Kothlow gibt Anita Berber.
  • Foto: KEN
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Was der Hippie-Generation mit „live fast, love hard, die young“ und „Sex, Drugs and Rock 'n' Roll“ Lebensmotto war, lebte eine Anita Berber schon fünfzig Jahre zuvor im Nollendorfkiez. Die Schauspielerin Nicola Kothlow ruft die Zeit in einer szenischen Stadtführung in Erinnerung.

„Sie hatte ein kurzes Leben, hat aber alles erlebt.“ Ganz in Schwarz gewandet, zeittypische Kopfbedeckung, blutrote Lippen: In der Rolle der wildesten und schamlosesten Frau der Weimarer Republik empfängt Nicola Kothlow auf den Stufen des Theaters am Nollendorfplatz, heute Goya, die Teilnehmer ihres Rundgangs. Rund anderthalb Stunden führt Kothlow-Berber durch das „Bermuda-Dreieck“, jenem Montmartre von Berlin zwischen Winterfeldtplatz, Bülowstraße und Motzstraße. In den Zwanzigern war es das Paradies der Schwulen und Lesben. Einschlägige Lokale reihten sich aneinander.

Kothlow führt dorthin, wo das laszive Leben zelebriert wurde. Sie ist Anita Berber, hüpft, tanzt und erzählt mit dunkel raunender Stimme aus dem intensiven kurzen Leben der einst tiefgläubigen Musterschülerin einer höheren Töchterschule aus Leipzig, die bei ihrer geliebten Großmutter in Dresden aufwächst und 1914 von ihrer Mutter Lucy, einer Kabarettistin und Diseuse, mitsamt Omama und Tanten nach Berlin geholt wird. Dort nimmt sie bei Rita Sacchetto (1880-1959) Tanz- und Schauspielunterricht und findet, weil „biegsam“, schnell den Weg auf die Bühne.

Nackttanz, Drogen, drei Ehemänner

1917 hat Berber ihren ersten Solotanzabend. Da ist sie 18 Jahre alt. Tanz wird ihr Lebensimpuls. Sie heiratet einen Mann mit Geld, der ihr nichts bedeutet, lässt sich nach zwei Jahren scheiden, verliebt sich in Willi Knobloch alias Sebastian Droste, den sie ehelicht. Er ist Tänzer, drogenabhängig und den dunklen Seiten des Lebens zugewandt. Gemeinsam feiern sie große Erfolge. 1921 zeigt Berber ihren ersten Nackttanz. Die Ehe geht unschön zu Ende. Es findet sich ein dritter Gatte, auch er Tänzer, Henri Hofmann. Liebhaber ohne Zahl gleich welchen Geschlechts hat Berber sowieso. Der Erste Weltkrieg ist vorüber, das prüde Korsett der Kaiserzeit abgelegt. Die Weimarer Republik ist jung und wild. Man pfeift auf gute Sitten und besucht leichte Operetten im Theater am Nollendorfplatz oder die schwullesbischen Lokale in der Nähe, die mit einfacher Holzvertäfelung, Plüschsofas und roten Lämpchen billig eingerichtet sind. „Kaschemmen“, lässt Kothlow Anita Berber sagen.

Und während die Schauspielerin von der Unrast der Verruchten berichtet, führt sie in die Schwerinstraße zu Haus Nummer 13. Dort befand sich einmal der „Toppkeller“. Die Lasterhöhle war über drei Hinterhöfe zu erreichen. Sie lockte Künstler, Gescheiterte, Angestellte und Arbeiter mit immer neuen Vergnügungen: „Heute Prämierung der schönsten Damenwaden. Herren sind herzlich willkommen.“ Nebenbei ist zu erfahren, was „Dunkelhäutige Mousse au Chocolat“ auf der Speisekarte des Kleist-Casinos für Schwule bedeutete: ein dunkelhäutiger Lover für 15 Mark.

Mit der Dietrich und Erich Kästner

Im „Toppkeller“ war Anita Berber anzutreffen wie im „Le Garçon“ in der Kalckreuthstraße 11, wo „schöne Frauen den Raum schmückten“. Oder im „Eldorado“ in der Martin-Luther-Straße 13/14. Dort verkehrten auch Marlene Dietrich, Erika und Klaus Mann. Hier ging die Berliner Abendgesellschaft aus, die mit Eintänzern in Damenkleidern übers Parkett fegte oder zuweilen auch zweideutigen Chansons aus Transvestitenmündern lauschte. Erich Kästner kam vom Prager Platz herüber, um seinen Mokka mit Whisky zu schlürfen. Eigentlich mochte er das ganze Treiben nicht. So ließ er sein Spottgedicht „Ragout fin de siècle“ ausklingen mit: „Bloß weil ihr hintenrum verkehrt, seid ihr noch nicht Genies.“

Es gäbe noch viel zu erfahren vom „Bermuda-Dreieck“ und von Anita Berber, die 1928, kokain- und alkoholsüchtig, an „galoppierender Lungenschwindsucht“ gestorben ist. Am besten von Nicola Kothlow auf einem ihrer kurzweiligen szenischen Spaziergänge.

Alle Informationen zu den Touren gibt es auf www.nicola-kothlow.de und unter ¿41 76 56 53.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

19 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 273× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 250× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 176× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 264× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.595× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.