Der Baumkünstler ist tot
Berlin trauert um Ben Wagin – einen umtriebigen und zum Glück unbequemen Zeitgenossen

Der Berliner Künstler und Umweltaktivist Ben Wagin starb am 28. Juli. Er wurde 91 Jahre alt. | Foto:  Dirk Jericho
  • Der Berliner Künstler und Umweltaktivist Ben Wagin starb am 28. Juli. Er wurde 91 Jahre alt.
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Er war ein lupenreiner Visionär, ein Berliner Original, ein umtriebiger und zum Glück auch unbequemer Zeitgenosse. Die Verbindung von Kunst, Natur und Geschichte war sein Thema. Am 28. Juli ist Ben Wagin im Alter von 91 Jahren verstorben.

Weltweit bekannt wurde der Aktionskünstler mit seinem „Parlament der Bäume“, das er 1990 – genau ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer – am Schiffbauerdamm auf dem Ödland des einstigen Grenzstreifens einrichtete. Es war und ist ein Mahnmal gegen Krieg und Gewalt und erinnert auch an die vielen Mauertoten. Mit dem Bau der Regierungsgebäude in unmittelbarer Nachbarschaft wie des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses musste der Ort zwar schrumpfen, aber es ist der Omnipräsenz, Beharrlichkeit, Unbeugsamkeit, ja Radikalität Ben Wagins zu verdanken, dass dieses Idyll, das inzwischen seit fast vier Jahren unter Denkmalschutz steht, heute noch existiert. Gegen alle Begehrlichkeiten verteidigte er dieses von ihm „besetzte“ Land. Und das mit großem Erfolg.

Ben Wagin wurde 1930 als Bernhard Wargin im heutigen Polen, in Jastrowie geboren. Er studierte – seit 1957 in Berlin lebend – an der Hochschule der Künste. Als Künstler und Galerist schon bald eine Institution, setzte er sich mit seinem 1976 gegründeten Baumpatenverein auch für die Förderung urbaner Lebensqualität und für den Schutz der Stadtnatur ein. Der Baum wurde sein stadtweit sichtbares Markenzeichen, so als riesige Wandmalerei wie der inzwischen nicht mehr sichtbare Weltenbaum I am Siegmunds Hof oder der Weltenbaum II an der Brandmauer gegenüber des S-Bahnsteigs Savignyplatz. Auch dieses Kunstwerk ist akut gefährdet und könnte in naher Zukunft endgültig aus dem Stadtbild verschwinden.

Vor allem Ginkgos

Überall in der Stadt pflanzte Wagin Bäume, vor allem Ginkgos. Sie stehen heute vor Regierungsgebäuden, Theatern und Museen und brachten ihm auch die „Berufsbezeichnung“ Baumkünstler ein. Sein größter Coup ist und bleibt es jedoch, im November 1990 die 16 gesamtdeutschen Ministerpräsidenten zusammengebracht zu haben, die jeweils einen Baum im „Parlament“ pflanzten. Er schuf damit einen Ort, der seine großen Themen bündelte: Natur, Kunst, Geschichte/Politik. Laut Axel Klausmeier, dem Direktor der Stiftung Berliner Mauer, sei die Zukunft zumindest dieses Ortes „institutionell gesichert“. „Doch gilt es nun mit ebenso großen Anstrengungen, die weiteren Lebens- und Handlungsorte Wagins, den Garten am Anhalter Bahnhof wie auch sein Atelier in der Joseph-Haydn-Straße langfristig für Berlin zu sichern“, sagt er anlässlich seines Todes.

„Der Schrecken jeder Verwaltung“

Auch wenn Wagin, wie Klausmeier betont, „der Schrecken jeder Verwaltung und Feind institutionellen Denkens“ war, schuf er ein Netzwerk in Berlin, zu dem nicht allein Künstler, Naturschützer und Medienleute gehörten, sondern auch zahlreiche Politiker wie der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). In einer Erklärung zum Tode Wagins sagt Müller: „Unsere Stadt sähe ohne sein Lebenswerk und sein nachhaltiges Engagement für die Großstadtnatur anders aus: ohne seine Baumpflanzungen, ohne seine Denkmale, ohne seine Interventionen.“ Und Monika Grütters, die eine Freundschaft mit dem Künstler verband, erinnert auch an das „Parlament der Bäume“ als eine „Oase seines kreativen Schaffens, die vor allem junge Menschen ohne eigene Diktaturerfahrung für das durch die Teilung Berlins und Deutschlands erzeugte Leid sensibilisiert“.

Als ich in den frühen 1990er-Jahren Ben Wagin nach einem Interview für die Berliner Woche fragte, wie er sich denn nun schreibe – Wagin oder Wargin, antwortete er nur: „Schreib mich, wie Du willst! Ist mir egal!“ Ben Wagin war immer bodenständig, menschlich, uneitel. Um seine Person ging es ihm trotz seiner wachsenden Bekanntheit in Berlin und darüber hinaus nie, aber bei seinen Themen und Ideen legte er eine Vehemenz und Radikalität an den Tag, die Berlin nun schmerzlich vermissen wird.

Autor:

Hendrik Stein aus Weißensee

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