Langer Atem, großes Herz und viel Wissen
Landesfreiwilligenagentur zeichnet fünf „Gestalter:innen der Zivilgesellschaft“ aus

Senatorin Elke Breitenbach, Dr. Gertrud Achinger, Carola Schaaf-Derichs, Theresa Kupke, Ursula Frommholz, Sabrina Knüppel und die Vertreterin für Maseihulla Nabizada, Magdalena Martin (von links). | Foto: René Tauschke
  • Senatorin Elke Breitenbach, Dr. Gertrud Achinger, Carola Schaaf-Derichs, Theresa Kupke, Ursula Frommholz, Sabrina Knüppel und die Vertreterin für Maseihulla Nabizada, Magdalena Martin (von links).
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Nicht immer stehen die im Rampenlicht, die das eigentlich verdient hätten. Ein Missstand, den man vielerorts findet – auch in der Zivilgesellschaft. Um ihn zu überwinden, hat die Landesfreiwilligenagentur einen Wettbewerb ausgelobt. Anlässlich der 11. Berliner Engagementwoche im September kürte sie fünf „Gestalter:innen der Zivilgesellschaft“.

Gesucht waren Menschen, die im kleinen Rahmen Großes leisten. Gemeinnützige Organisationen konnten Freiwillige aus ihren Reihen benennen, bevor eine siebenköpfige Jury eine Auswahl traf. Inzwischen haben die Gekürten ihre Urkunden erhalten, feierlich überreicht durch Senatorin Elke Breitenbach (Die Linke), der Schirmherrin des Wettbewerbs. Carola Schaaf-Derichs, Geschäftsführerin der Landesfreiwilligenagentur Berlin, würdigte die Preisträgerinnen: „Auf ihr Tun konzentriert, ohne viel Aufhebens zu machen, mit langem Atem vorangehend, ohne aus dem Tritt zu kommen: So bringen sie sich ein. Als Vorbilder, Wegbereiter:innen und Umsetzer:innen von Mitmenschlichkeit und Gemeinwohlorientierung sind alle fünf Auserwählten für sich großartig. Aber sie stehen auch stellvertretend für eine engagierte Stadtgesellschaft, in der sich Tausende tagtäglich einbringen.“ Hier stellen wir die Preisträger kurz vor.

Mit der Heimat im eigenen Herzen arbeitet er für Obdachlose: Maseihulla Nabizada

Der Grundgedanke der Berliner Stadtmission lautet: „Jeder Mensch hat das Recht in Frieden und Freiheit zu leben, Hilfe zu bekommen und Hilfe zu geben.“ Aus Afghanistan gekommen, sprach Maseihulla Nabizada das besonders an. So sehr ihn seine Heimat und die Familie, die dort lebt, beschäftigen, so aktiv ist der Student in der Notübernachtung am Hauptbahnhof, wo obdachlose Menschen Essen, Kleidung und einen Schlafplatz finden. „Hier kann ich denen helfen, die wirklich Hilfe brauchen“, sagt er. Seine vielfältigen Sprachkenntnisse helfen ihm dabei. Für ihn auch eine aktive Form, in Berlin anzukommen. Bei so vielen ganz unterschiedlichen Menschen, die die Notübernachtung zusammenführt, spielt seine Herkunft keine Rolle.

Sie verkuppelt Bücherwürmer mit Kindern zu einem Lese-Date: Ursula Frommholz

Einmal in der Woche Kindern vorzulesen, das war für sie ein Ehrenamt ganz nach ihrem Geschmack – und der erste Schritt eines langen Weges für mehr Bildungschancen. Seitdem sie 2007 Vorstandsmitglied des Vereins Lesewelt Berlin wurde, organisiert Ursula Frommholz federführend Vorlesestunden für bildungsbenachteiligte Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren in Berliner Bibliotheken und Kitas mit Hilfe von Vorlesepaten. Immer im Fokus hat sie, was sie selbst so angenehm fand und in ihrer Berufsarbeit vermisste: den freundlichen Umgang miteinander. Dass ihr Verein immer noch keine staatliche Förderung erhält, obwohl er bereits 25 000 Kinder erreicht hat, ist für sie ein gewohntes Ärgernis. Mehr Sorgen bereitet ihr etwas anderes: die Tendenz staatlicher Akteure, der Zivilgesellschaft vorzuschreiben, was diese zu tun hat. „Hier müssen wir auf unsere Unabhängigkeit achten“, sagt sie – durchaus kämpferisch.

Sie sammelt Erinnerungen, die Geschichte gegenwärtig machen: Dr. Gertrud Achinger

„Wir müssen uns beeilen.“ So gelassen, wie sie das sagt, glaubt man es der 84-Jährigen erst gar nicht. Aber wer ihre Mission kennt, versteht den Zeitdruck. Vor 20 Jahren hat sie bei der ZeitZeugenBörse Berlin begonnen, Erinnerungen festzuhalten – Erzählungen, die gerade jüngeren Generationen Geschichte gegenwärtig machen können. Eine vielseitige Aufgabe, immer davon überschattet, dass die Zeitzeugen sterben könnten. Besonders die ältesten, die keine Belastung scheuen, um Zeugnis abzulegen, möchte die Soziologin noch würdigen. Dass deren Engagement auch für Aufklärung sorgen kann, hebt sie nicht zuletzt mit Blick auf rechtsextreme Geschichtsverdreher hervor. Aktuell kümmert sie sich um die Erfahrungen von Migranten. Sie schätzt es, junge Leute zu gewinnen und mit ihnen zu überlegen, wie man neue Kanäle wie Podcasts nutzen kann.

Sie bietet einen sicheren Hafen, in dem ehemalige Heimkinder zu sich finden: Sabrina Knüppel

Manchmal kommt es ihr vor, als wäre sie selbst in Königsheide aufgewachsen. So sehr fühlt sie sich verbunden mit jenen Menschen, die dort einst gelebt – und gelitten haben. Im ehemals größten Kinderheim der DDR geschah viel Schreckliches. Mit dem Verein Königsheider Eichhörnchen begann Sabrina Knüppel vor 15 Jahren, das lange tabuisierte Leid der Bewohner aufzuarbeiten – in vielen Formen. So ermöglicht sie Forschung, damit Heimgeschichte verstanden und erhalten wird. Sie betreibt Spurensuche, wodurch sich auseinandergerissene Geschwister wiederfinden können. Sie organisiert Treffen, um die oft traumatisierten ehemaligen Bewohner spüren zu lassen, was ihnen gründlich ausgetrieben wurde: sich aufgehoben fühlen. „Wir führen viele tränenreiche Gespräche“, sagt sie. „Aber weil ich ein gutes Team habe und viel Dankbarkeit erfahre, halte ich durch.“

Sie bahnt Menschen Wege, wenn die ganze Welt voller Hürden ist: Theresa Kupke

Gut möglich, dass sie die größte ehrenamtliche Herausforderung übernommen hat. Begleitet sie doch fünf junge Menschen aus Syrien, Afghanistan und Guinea. Der Rahmen dafür sind ehrenamtliche Einzelvormundschaften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Als sie damit 2015 startete, war sie schon etwas gerüstet, da sie früher bereits beruflich mit Integration beschäftigt war. Aber Mündel rechtlich zu vertreten, ihnen dauerhafte Perspektiven zu eröffnen – aller Armut, Gewalt und Entwurzelung, die sie erfahren haben, zum Trotz und bei allen Sprachschwierigkeiten – das war eine große Herausforderung. Das Berliner Netzwerk Einzelvormundschaften akinda ist ihr dafür sehr dankbar. Und Theresa Kupke staunt immer wieder, was sie alles bei ihrer Arbeit lernt. Etwa, dass die jungen Leute im Sinne religiöser Toleranz oft europäischer sind als die deutsche Gesellschaft.

Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.engagementwoche.berlin.

Autor:

Bernd Schüler aus Mitte

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