„Das Virus kann jeden treffen“
Als Lehrer, Chorleiter und Bandmusiker war Reinhard Müller gleich mehrfach von der Corona-Pandemie betroffen
Die derzeit geltenden Einschränkungen forderten auch Reinhard Müller noch einmal einiges ab – zuletzt die Vorbereitung auf den sogenannten saLzH-Unterricht. Das Kürzel steht für „schulisch angeleitetes Lernen zu Hause“. In den Tagen vor und nach den Winterferien sollen die Schüler allein, in Lerngruppen oder in Videokonferenzen ihr Unterrichtsprogramm absolvieren.
Reinhard Müller ist Lehrer an der Grundschule am Amalienhof. Der 61-Jährige gehört zur Risikogruppe. Bisher ist er vom Virus verschont geblieben. Seine Tochter (26) und seine Schwiegereltern (über 80) waren erkrankt – mit einigermaßen mildem Verlauf. Aber auch sie stärkten die Erkenntnis: Das Virus kann jeden treffen.
Reinhard Müller ist auch Chorleiter. Über seine Schule hinaus engagiert er sich als Leiter des Adventskonzerts in der Nikolaikirche. Das fiel ebenso aus wie eine speziell unter Corona-Bedingungen vorgesehene Variante auf der Zitadelle. Gerade für die Schüler war das ein herber Rückschlag.
Reinhard Müller ist zudem Musiker, auch außerhalb von Spandau bekannt als Kopf der Band „Rock 59“. Das weitgehende Auftrittsverbot hat auch bei der Band Spuren hinterlassen. Rechnungen – von Proberaum bis Versicherung – mussten weiter bezahlt werden, gleichzeitig fehlten die Einnahmen: keine Auftritte beim Altstadt- oder Havelfest, keine Mondscheinfahrt auf dem Wasser mit musikalischer Begleitung. Auch an „Rock 59“ hängen weitere Jobs wie die für Techniker. „Und wir wissen nicht, welche Orte, an denen wir häufig gastiert haben, es nach Corona überhaupt noch geben wird“, sagt Müller.
Am 29. Februar 2020 feierte die Formation ihren 35. Geburtstag mit einem Konzert auf der Zitadelle. Es war gut besucht, allerdings kamen einige Fans schon damals nicht – wegen des Virus aus China. Auch das veränderte Verhalten einiger Gäste fiel Reinhard Müller auf. „Die haben einem nicht mehr die Hand gegeben.“ Das alles ist nicht einmal zwölf Monate her, wirkt aber inzwischen wie Lichtjahre entfernt. Zwei Wochen später machte er seinen jährlichen Pop-Rock-Workshop. Zum Abschluss gab es immer eine Aufführung. Sie war für den 12. März geplant. Einen Tag zuvor musste sie abgesagt werden. Am 13. März wurde die Schließung der Schulen verkündet.
Reinhard Müller war wegen seines Alters zum Home-Office vergattert. Er hielt digital Kontakt zu seinen Schülern, stellte und korrigierte Aufgaben. Aber immer wieder zog es ihn in die Schule. „Ich musste dann unterschreiben, dass ich freiwillig da bin.“ Es gab auch vor Ort einiges zu tun, etwa ein Leitsystem durch das Gebäude aufzubauen oder Folien auf den Boden zu kleben, die den Mindestabstand markieren.
Den Laden zusammengehalten
Die Amalienhof-Grundschule machte sich schon früh Gedanken, wie der Unterricht unter Pandemiebedingungen organisiert werden könnte. Herausfordernd sei das natürlich gewesen, sagt Reinhard Müller, habe aber gleichzeitig für eine ganz eigene Art von Zusammengehörigkeitsgefühl gesorgt. Diese Erfahrung sei deshalb auch mit Dank verbunden. Der gelte insbesondere der Schulleitung. Die Direktorin und ihre Stellvertreterin hätten durch ihren Einsatz den Laden zusammengehalten, motiviert, aber gleichzeitig auch Raum für Frust und Ärger ermöglicht. Denn nicht jeder Tag sorgte natürlich für gute Laune.
In den Dank schließt er die Schüler ein. Sie hätten sich unheimlich schnell der jeweiligen Situation angepasst. Masken seien zum Beispiel nach kurzer Zeit kaum noch Thema gewesen. Selbst als er in seinem Musikunterricht um einen zeitweise über die Vorgaben hinausgehenden Mund- und Nasenschutz bat, wurde das akzeptiert. Empathie spielt bei diesem Verhalten wahrscheinlich eine Rolle, vielleicht auch Disziplin. Noch mehr hat Reinhard Müller aber inzwischen einen fast fatalistischen Zug bei vielen Schülern ausgemacht, die nach allen Verwerfungen vor allem automatisch reagieren. Nicht nur solche Beobachtungen verstärken den Eindruck, dass sich hier eine „Generation Corona“ entwickele.
Es bleibt für ihn aber trotz der Erfahrungen in den vergangenen Monaten auch manches, an das sich vielleicht positiv anknüpfen lasse. Als Musiker habe er zum Beispiel selten so viel und vor allem ganz andere Fanpost bekommen. Manchmal sei da einfach nur die Vorfreude auf das nächste Konzert in unbestimmter Zukunft ausgedrückt worden. Auch insgesamt biete eine solche Krise Anlass für eine Bestandsaufnahme. Lief bisher alles gut? Soll es so weiter gehen? Das könne auch dazu führen, „die Gedanken in eine bessere Richtung zu lenken“, meint Müller. Und nicht nur an seiner Schule schreite die Digitalisierung voran, wenngleich noch immer in eher kleinen Schritten. Aber kurz vor Weihnachten seien eine Menge neuer Tablets angeliefert worden.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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