„Das Virus kann jeden treffen“
Als Lehrer, Chorleiter und Bandmusiker war Reinhard Müller gleich mehrfach von der Corona-Pandemie betroffen

Reinhard Müller am Klavier: Auf der Bühne blieb das Instrument in den vergangenen Monaten stumm. | Foto: privat
2Bilder
  • Reinhard Müller am Klavier: Auf der Bühne blieb das Instrument in den vergangenen Monaten stumm.
  • Foto: privat
  • hochgeladen von Thomas Frey

Die derzeit geltenden Einschränkungen forderten auch Reinhard Müller noch einmal einiges ab – zuletzt die Vorbereitung auf den sogenannten saLzH-Unterricht. Das Kürzel steht für „schulisch angeleitetes Lernen zu Hause“. In den Tagen vor und nach den Winterferien sollen die Schüler allein, in Lerngruppen oder in Videokonferenzen ihr Unterrichtsprogramm absolvieren.

Reinhard Müller ist Lehrer an der Grundschule am Amalienhof. Der 61-Jährige gehört zur Risikogruppe. Bisher ist er vom Virus verschont geblieben. Seine Tochter (26) und seine Schwiegereltern (über 80) waren erkrankt – mit einigermaßen mildem Verlauf. Aber auch sie stärkten die Erkenntnis: Das Virus kann jeden treffen.

Reinhard Müller ist auch Chorleiter. Über seine Schule hinaus engagiert er sich als Leiter des Adventskonzerts in der Nikolaikirche. Das fiel ebenso aus wie eine speziell unter Corona-Bedingungen vorgesehene Variante auf der Zitadelle. Gerade für die Schüler war das ein herber Rückschlag.

Im Sommer hat die Band Rock 59 zeitweise geprobt. Dann aber mit Plexiglasschutz und natürlich auf Abstand. | Foto: Rock 59
  • Im Sommer hat die Band Rock 59 zeitweise geprobt. Dann aber mit Plexiglasschutz und natürlich auf Abstand.
  • Foto: Rock 59
  • hochgeladen von Thomas Frey

Reinhard Müller ist zudem Musiker, auch außerhalb von Spandau bekannt als Kopf der Band „Rock 59“. Das weitgehende Auftrittsverbot hat auch bei der Band Spuren hinterlassen. Rechnungen – von Proberaum bis Versicherung – mussten weiter bezahlt werden, gleichzeitig fehlten die Einnahmen: keine Auftritte beim Altstadt- oder Havelfest, keine Mondscheinfahrt auf dem Wasser mit musikalischer Begleitung. Auch an „Rock 59“ hängen weitere Jobs wie die für Techniker. „Und wir wissen nicht, welche Orte, an denen wir häufig gastiert haben, es nach Corona überhaupt noch geben wird“, sagt Müller.

Am 29. Februar 2020 feierte die Formation ihren 35. Geburtstag mit einem Konzert auf der Zitadelle. Es war gut besucht, allerdings kamen einige Fans schon damals nicht – wegen des Virus aus China. Auch das veränderte Verhalten einiger Gäste fiel Reinhard Müller auf. „Die haben einem nicht mehr die Hand gegeben.“ Das alles ist nicht einmal zwölf Monate her, wirkt aber inzwischen wie Lichtjahre entfernt. Zwei Wochen später machte er seinen jährlichen Pop-Rock-Workshop. Zum Abschluss gab es immer eine Aufführung. Sie war für den 12. März geplant. Einen Tag zuvor musste sie abgesagt werden. Am 13. März wurde die Schließung der Schulen verkündet.

Reinhard Müller war wegen seines Alters zum Home-Office vergattert. Er hielt digital Kontakt zu seinen Schülern, stellte und korrigierte Aufgaben. Aber immer wieder zog es ihn in die Schule. „Ich musste dann unterschreiben, dass ich freiwillig da bin.“ Es gab auch vor Ort einiges zu tun, etwa ein Leitsystem durch das Gebäude aufzubauen oder Folien auf den Boden zu kleben, die den Mindestabstand markieren.

Den Laden zusammengehalten

Die Amalienhof-Grundschule machte sich schon früh Gedanken, wie der Unterricht unter Pandemiebedingungen organisiert werden könnte. Herausfordernd sei das natürlich gewesen, sagt Reinhard Müller, habe aber gleichzeitig für eine ganz eigene Art von Zusammengehörigkeitsgefühl gesorgt. Diese Erfahrung sei deshalb auch mit Dank verbunden. Der gelte insbesondere der Schulleitung. Die Direktorin und ihre Stellvertreterin hätten durch ihren Einsatz den Laden zusammengehalten, motiviert, aber gleichzeitig auch Raum für Frust und Ärger ermöglicht. Denn nicht jeder Tag sorgte natürlich für gute Laune.

In den Dank schließt er die Schüler ein. Sie hätten sich unheimlich schnell der jeweiligen Situation angepasst. Masken seien zum Beispiel nach kurzer Zeit kaum noch Thema gewesen. Selbst als er in seinem Musikunterricht um einen zeitweise über die Vorgaben hinausgehenden Mund- und Nasenschutz bat, wurde das akzeptiert. Empathie spielt bei diesem Verhalten wahrscheinlich eine Rolle, vielleicht auch Disziplin. Noch mehr hat Reinhard Müller aber inzwischen einen fast fatalistischen Zug bei vielen Schülern ausgemacht, die nach allen Verwerfungen vor allem automatisch reagieren. Nicht nur solche Beobachtungen verstärken den Eindruck, dass sich hier eine „Generation Corona“ entwickele.

Es bleibt für ihn aber trotz der Erfahrungen in den vergangenen Monaten auch manches, an das sich vielleicht positiv anknüpfen lasse. Als Musiker habe er zum Beispiel selten so viel und vor allem ganz andere Fanpost bekommen. Manchmal sei da einfach nur die Vorfreude auf das nächste Konzert in unbestimmter Zukunft ausgedrückt worden. Auch insgesamt biete eine solche Krise Anlass für eine Bestandsaufnahme. Lief bisher alles gut? Soll es so weiter gehen? Das könne auch dazu führen, „die Gedanken in eine bessere Richtung zu lenken“, meint Müller. Und nicht nur an seiner Schule schreite die Digitalisierung voran, wenngleich noch immer in eher kleinen Schritten. Aber kurz vor Weihnachten seien eine Menge neuer Tablets angeliefert worden.

Reinhard Müller am Klavier: Auf der Bühne blieb das Instrument in den vergangenen Monaten stumm. | Foto: privat
Im Sommer hat die Band Rock 59 zeitweise geprobt. Dann aber mit Plexiglasschutz und natürlich auf Abstand. | Foto: Rock 59
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

47 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 83× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 105× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.455× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.