Sorge um wachsende Obdachlosenszene: City West fordert mehr Hilfsangebote
Charlottenburg-Wilmersdorf. Immer mehr Wohnungslose – und das soziale Netz wächst nicht mit: Bezirksamt und namhafte Akteure der City West fühlen sich mit dem Problem allein gelassen. Jetzt sollen neue Hilfseinrichtungen in anderen Bezirken die Lage am Zoo entspannen.
Wem darf die ausgestreckte Hand gelten? Wem gebührt die Fürsorge der Stadtgesellschaft? Wo hört Barmherzigkeit auf? Am Bahnhof Zoo sind das philosophische Fragen angesichts eines reellen Problems: Die Berliner Obdachlosenszene wächst, erhält einerseits Zulauf durch Menschen, die ihre Wohnung verlieren. Andererseits durch solche, die aus Osteuropa kommen. Und vom Gefühl her fällt dieses Wachstum an kaum einem anderen Ort der Hauptstadt so drastisch aus wie an der Pforte zur City West.
Ein Hilferuf
Immer schon als Aufenthaltsort für die ärmsten Berliner bekannt, spielt der Bahnhof Zoo mit seinen Hilfsangeboten in der Jebensstraße auf der Landkarte der Obdachlosigkeit eine derart wichtige Rolle, dass Anrainer jetzt nach Hilfe rufen. „Im Sinne der Gewerbetreibenden und des Bezirksamts sollte diese verantwortungsvolle Arbeit nicht nur an einem Standort geleistet werden. Unser Ziel sollte sein, derartige Angebote für Obdachlose berlinweit zu schaffen“, nennt AG-City Chef Klaus-Jürgen Meier das Fazit eines ersten Gesprächs am Runden Tisch.
Im Ludwig-Erhard-Haus hatten sich auf Einladung des Bezirksamts alle Akteure versammelt, die rund um den Hardenbergplatz einen Namen haben: Von der C/O Berlin über die Deutsche Bahn bis hin zum Oberverwaltungsgericht. Dass der Bezirk neben Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) auch die Stadträte Carsten Engelmann und Arne Herz (beide CDU) aufbot, zeigt den Stellenwert des Problems.
Wildpinkeln, wildes Kampieren, unverträglicher Alkoholkonsum – dies sind „Verwerfungen“, die laut Naumann in der Anrainerrunde am meisten beklagt wurden. „Eine Patentlösung dafür gibt es nicht“, stellt er jedoch fest. Die wachsende Stadt zeige sich gerade in Charlottenburg-Wilmersdorf auch am äußeren Rand der Gesellschaft. Wenn der Staat nicht gegensteuere mit sozialer Politik, mehr Geld und Personal, könnten aus 7000 Obdachlosen schnell 10 000 werden.
Senat ist in der Pflicht
Tatsächlich habe das Sicherheitsgefühl der Passanten am Zoo in den vergangenen Monaten gelitten – was aber mehr mit dem subjektiven Empfinden zusammenhängt als mit handfesten Vorkommnissen. Einer Kontrolle der Szene durch private Sicherheitsdienste erteilte Naumann erneut eine Absage. Er sieht den neuen Senat in der Pflicht, auf sanfte Weise Abhilfe zu schaffen – und befürwortet genau wie AG-City Chef Meier neue Hilfseinrichtungen in anderen Bezirken, um das Problem am Zoo zu entzerren.
„Zwei Drittel der Teilnehmer dieses Anrainertreffens waren Unterstützer unserer Hilfeleistung“, freute sich Dieter Puhl, der als Leiter der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten als Kenner der Szene beim Treffen Auskunft gab. Selbst er räumt ein, dass der Zulauf aus Osteuropa ins deutsche Hilfssystem kaum noch aufzufangen ist. „Man kann Obdachlose mit genügend Zeitaufwand resozialisieren. Deutsche Obdachlose wohlgemerkt“, betont Puhl. Andererseits drohe den Armutsflüchtlingen aus Moskau und Warschau in ihrer Heimat oft der Kältetod.
Puhl warnt davor, seine stark hilfsbedürftigen Schützlinge zu stigmatisieren und liefert für die genannten Ärgernisse konkrete Gegenmaßnahmen. So plädiert er dafür, mobile Toiletten in der Jebensstraße aufzustellen, wie es sie zu Testzwecken bereits gab. Zwar verfügt die Bahnhofsmission seit einem Jahr auch über ein Hygiene-Center mit Toiletten und Duschen. Aber da die Klientel für solche Angebote oft an Psychosen und Süchten leidet, müsse man sie trotzdem auch dort unterstützen, wo sie sich die meiste Zeit befindet: auf der Straße. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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