"Es kann nicht sein, was nicht sein darf"
Karin Wüst demonstriert mit der Initiative "Basta" seit vielen Monaten vor dem Landeskriminalamt

Karin Wüst aus der Hufeisensiedlung steht bei Wind und Wetter einmal in der Woche vor dem Landeskriminalamt. | Foto: Foto: Schilp
  • Karin Wüst aus der Hufeisensiedlung steht bei Wind und Wetter einmal in der Woche vor dem Landeskriminalamt.
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Seit Anfang Mai 2019 stehen die Mitglieder der Initiative „Basta“ jeden Donnerstag von 8 bis 10 Uhr vor dem Eingang des Landeskriminalamts am Tempelhofer Damm. Sie fordern, die rechtsextremistischen Taten, die seit Jahren gegen engagierte Neuköllner verübt werden, endlich aufzuklären.

Brandanschläge, Gewaltandrohungen, Sachbeschädigungen, auch den Mord an Burak Bektas im Jahre 2012 schreibt die Initiative der rechtsradikalen Szene zu. Bisher ist nicht eine einzige der über 70 Taten aufgeklärt worden – trotz des Einsatzes mehrerer Sonderermittlungsgruppen. Mehrmals stand der Verdacht im Raum, dass einzelne Staatsanwälte und LKA-Beamte mit den Ultrarechten sympathisierten. Fest steht, dass es etliche Ermittlungspannen gab. Jüngster Fehlschlag: Kurz vor Weihnachten verhaftete die Polizei zwei seit Langem verdächtige Neonazis, musste sie aber wieder auf freien Fuß setzen. Berliner-Woche-Reporterin Susanne Schilp sprach mit Karin Wüst von „Basta“.

Gab es für Sie einen konkreten Auslöser dafür, auf die Straße zu gehen?

Karin Wüst: Verzweiflung darüber, dass die Ermittler die Taten nicht aufklärten. Bereits 2016 hatten wir Kontakt zum Polizeipräsidenten aufgenommen. Wir sprachen mit der Leiterin der Ermittlungsgruppe „Resin“, die Innensenator Geisel neu eingesetzt hatte, und dem Leiter der Direktion 5. Unsere Fragen wurden aber nicht beantwortet. Standardmäßig hieß es, aus ermittlungstechnischen Gründen sei das nicht möglich. Was blieb uns anderes übrig, als an die Öffentlichkeit zu gehen? Ich hätte aber nie damit gerechnet, dass es so lange nötig sein würde.

Haben die Verantwortlichen inzwischen mit Ihnen geredet?

Karin Wüst: Ab und zu kommt der Leiter des Staatsschutzes vorbei und sagt: „Wir tun unser Bestes.“ Das sagt auch Polizeipräsidentin Barbara Slovik und weist uns darauf hin, dass wir vor dem falschen Haus stünden. Die richtige Adresse sei die Justiz beziehungsweise die Staatsanwaltschaft. Ständig verweist eine Behörde auf die andere. Unsere kritischen Fragen und Forderungen nach Transparenz laufen derweil ins Leere.

Gab oder gibt es Kontakte zu Mitarbeitern des LKA?

Karin Wüst: Wenige, und wenn dann trafen wir meist auf Ablehnung. Wenn ich mir vorstelle, vor meinem Arbeitsplatz demonstrieren seit so langer Zeit Menschen, die bezweifeln, dass ich gute Arbeit mache, und behaupten, dass ich auf dem rechten Auge blind sei, würde ich mit ihnen reden. Insbesondere, weil ja immer wieder betont wird, es gebe keine rechten Strukturen bei den Behörden – alles nur Einzelfälle. Wir haben auch versucht, mit dem Personalrat ins Gespräch zu kommen. Bisher ohne Ergebnis.

Und Sie selbst haben schon eine Strafanzeige kassiert, richtig?

Karin Wüst: Ja, im vergangenen Sommer haben Polizisten bei einer Kontrolle am Te-Damm nach unserer Genehmigung für die Demonstration gefragt. Die haben wir immer nur für ein halbes Jahr beantragt – in der Hoffnung, nicht ewig dort stehen zu müssen. Und sie war, von uns unbemerkt, gerade abgelaufen. Prompt gab eine Strafanzeige, übrigens seltsamerweise vom LKA 523 – zuständig für Linksextremismus. Unsere Anwältin hat Antrag auf Akteneinsicht gestellt, bis heute ohne Erfolg. Wir sind aber sicher, dass wir sehr genau beobachtet werden. Man könnte den Eindruck bekommen, dass das LKA sich mehr mit uns als mit den Rechtsextremen beschäftigt.

Empfinden Sie das als Schikane?

Karin Wüst: Nein, nicht als Schikane. Eher: Peinlicher geht’s doch gar nicht. Es zeigt mir, wie der Apparat funktioniert. Wenn ich böse wäre, würde ich sagen: Da haben sie endlich mal einen Ermittlungserfolg gehabt.

Sie haben auch weitere unangenehme Erfahrungen gemacht?

Karin Wüst: Mehrere. Der extremste Vorfall hat sich vergangenen Sommer ereignet. Ein uniformierter Polizist schimpfte uns gegenüber lautstark über die „Lügenpresse“ und erzählte üble Sachen, dass alle Ausländer Frauen vergewaltigten und so weiter. Dann meinte er, den rechten Arm zum Hitlergruß zu heben, tue keinem weh. Wir haben seine Chefin darüber informiert.

Wurde gegen diesen Polizisten etwas unternommen?

Karin Wüst: Die Staatsanwaltschaft meinte, der Tatbestand der Volksverhetzung liege nicht vor. Ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet. Wir wurden als Zeugen geladen, die Justiziarin der Polizeipräsidentin, die uns befragte, war aber mindestens so sehr an unserer Gruppe interessiert wie an dem Vorkommnis mit dem Beamten. Übrigens standen während der Pöbelei etliche Personen vor dem LKA und nickten zustimmend. Eingegriffen oder widersprochen hat niemand. Dazu sagte die Polizeipräsidentin: „Woher wissen Sie, dass das LKA-Leute und keine Passanten waren?“ Das können wir natürlich nicht beweisen. Aber wer steht schon um diese Uhrzeit vor dem LKA? Der ganze Vorfall wird unseres Wissens auch nicht im Abschlussbericht der „BAO Fokus“ (die Nachfolgegruppe von „Resin“, Anm. d. Red.) über rechte Strukturen in den Ermittlungsbehörden erwähnt.

Sie haben noch viele andere Geschichten in dieser Richtung parat, auch außerhalb der Demos.

Karin Wüst: Ja, nur ein Beispiel: Einem Mitglied unserer Initiative wurde ein Reifen seines Autos zerstochen, ein Anti-Rassismus-Sticker mit einem rechtsextremen überklebt. Mit dem waren auch die Laternen an der Straße zugepflastert. Während die Polizei den Sachverhalt aufnahm, hat ein Mann alles beobachtet. Meine Frage, ob er etwas gesehen habe, verneinte er. Er erzählte aber, er habe selbst diese rechten Sticker zu Hause und sein Auto parke direkt hinter dem des Geschädigten. Doch die später eingetroffenen LKA-Beamten wollten davon nichts hören, das tue nichts zur Sache. Auch den zerstochenen Reifen wollten sie nicht mitnehmen. Wir mussten energisch darauf bestehen, dass sie Spuren sicherten. Denn schließlich lassen sich ohne Beweise keine Straftäter überführen. Das zeigt für mich sehr viel.

Glauben Sie, dass der oberste Dienstherr der Behörden, Innensenator Andreas Geisel, kein Interesse an der Aufklärung der Taten hat?

Karin Wüst: Nein. Aber er will nicht zugeben, dass es rechte Strukturen beim Verfassungsschutz und Staatsschutz gibt – und so verhindert er die Aufklärung. Ganz nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Jetzt hat er die x-te Gruppe eingesetzt, die sich mit den Ermittlungen beschäftigt. Ich erwarte nichts Neues.

Was meinen Sie: Wenn es vollkommen außer Zweifel stünde, dass nur lupenreine Demokraten bei den Behörden arbeiteten, wäre dann die Neuköllner Anschlagserie aufgeklärt?

Karin Wüst: Ja, das glaube ich.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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