"Mir geht es um gerechte Behandlung aller"
Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel über Vorhaben im neuen Jahr, Wartezeiten beim Bürgeramt und Gewerbekontrollen

Bevor Martin Hikel Rathauschef in Neukölln wurde, unterrichtete er Mathematik und Politik an einer Berliner Schule. | Foto:  Jesco Denzel/Bezirksamt Neukölln
  • Bevor Martin Hikel Rathauschef in Neukölln wurde, unterrichtete er Mathematik und Politik an einer Berliner Schule.
  • Foto: Jesco Denzel/Bezirksamt Neukölln
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Martin Hikel ist der jüngste Bürgermeister Berlins. Im März 2019 trat er die Nachfolge von Franziska Giffey an. Die Neuköllner scheinen mit ihm recht zufrieden zu sein: Bei der jüngsten Bezirkswahl erreichte seine SPD mit 28,7 Prozent das beste Ergebnis der Stadt. Berliner-Woche-Reporterin Susanne Schilp sprach mit dem 35-Jährigen.

Was sind die wichtigsten Vorhaben in diesem Jahr?

Martin Hikel: Das hängt leider erstmal von den Finanzen ab. Wegen der Neubildung des Senats müssen wir mit einem vorläufigen Haushalt klarkommen – schätzungsweise bis zum Frühsommer. In der Zeit darf das Bezirksamt keine neuen Projekte starten. Deshalb weiß ich noch nicht, wie viel finanziellen Spielraum wir überhaupt haben werden. Klar ist, dass der Schulbau nach wie vor oberste Priorität hat. Unsere großen Vorhaben werden wir ordentlich zu Ende bringen, den Campus Efeuweg, den Campus Rütli, das Leonardo-da-Vinci-Gymnasium, die Clay-Oberschule und viele weitere Maßnahmen. Fertig werden wir damit aber 2022 noch nicht.

Es gibt noch keine konkreten neuen Planungen?

Martin Hikel: Doch natürlich. Wir wollen in der zweiten Jahreshälfte mit der Parkraumbewirtschaftung beginnen. Die erste Zone soll rund um die Donaustraße eingerichtet werden – zwischen der Sonnenallee und der Hasenheide. Und dann sind da natürlich die Evergreens, die uns noch jahrelang beschäftigen werden, wie die Bekämpfung der Obdachlosigkeit und der Umgang mit Drogen und Sucht. In der Anlaufstelle an der Karl-Marx-Straße werden Abhängige beraten und können in hygienischer Umgebung konsumieren. Das reicht aber noch lange nicht. Wir müssen über weitere Einrichtungen im Norden nachdenken. Und ich will beim Thema Müll vorankommen. Gerade in den vergangenen Wochen ist die Situation unerträglich geworden. Ich erwarte, dass der Senat die BSR besser ausstattet.

Themawechsel: Wie hat sich Corona auf die Arbeit des Bezirksamts ausgewirkt?

Martin Hikel: Die Pandemie hat klar gezeigt: Wir brauchen eine bessere technische Ausstattung, damit unsere Leute mobiler arbeiten können. Daran hat es überall gefehlt. Zudem ist deutlich geworden, wie wichtig die Verwaltung ist – und was die Kolleginnen und Kollegen auch unter schweren Arbeitsbedingungen leisten. Das Gesundheitsamt funktioniert gut, aber nur weil es von vielen Mitarbeitern aus anderen Bereichen und von zusätzlich eingestelltem Personal unterstützt wird.

Viele Neuköllner beschweren sich über die langen Wartezeiten beim Bürgeramt. Hat das auch etwas mit der Pandemie zu tun?

Martin Hikel: Weniger. Im Jahre 2019 wurde das System berlinweit vereinheitlicht. Das Ziel war, dass jeder innerhalb von 14 Tagen einen Termin bekommt. Aber wir in Neukölln waren diesem Ziel vorher viel näher als heute.

Wo sehen Sie die Gründe für diesen Rückschritt?

Martin Hikel: Das aktuelle System ist sehr starr. Jeder muss einen Termin buchen. Einfach so vorbeizukommen wie früher in Neukölln geht nicht mehr. Aber 25 Prozent aller Termine werden gar nicht wahrgenommen. Manche Leute blockieren gleich mehrere Termine für ein einziges Anliegen und sagen die nicht mehr benötigten nicht ab. Das ist ineffizient.

Gibt es Ideen, um die Situation zu verbessern?

Martin Hikel: Das kann nur berlinweit geschehen. Wir brauchen sinnvolle Regularien oder Anreizsysteme, damit nicht benötigte Termine abgesagt werden. Außerdem ist es sinnvoll, das Portfolio der Dienstleistungen im Bürgeramt auf das Meldewesen zu fokussieren und die Digitalisierung der Angebote voranzutreiben. Dann wird das auch was mit dem 14-Tage-Ziel.

Uneinigkeit besteht auch bei den Verbundeinsätzen von Ordnungsamt, Polizei, Zoll und Staatsanwaltschaft. Die Linkspartei kritisiert, dass hauptsächlich Geschäfte und Gastronomie von Migranten überprüft werden. Das finden sie diskriminierend.

Martin Hikel: Es geht nicht um Herkunft, sondern um Verstöße gegen das Gesetz. Der Anteil an Menschen mit Migrationsgeschichte in Nord-Neukölln ist bei über 70 Prozent, in manchen Kiezen bei über 90. Dass man bei Kontrollen auf Menschen mit Migrationsgeschichte trifft, ist nicht diskriminierend, sondern ein Abbild unseres bunten Bezirks. Beim jüngsten Verbundeinsatz haben wir 45.000 Euro in bar beschlagnahmt, Drogen und Totschläger gefunden. Das ist Alltag. In bestimmte Läden können wir nicht einfach drei Mitarbeiter des Ordnungsamts reinschicken, das wäre für sie zu gefährlich. Und diese Läden nicht zu kontrollieren, würde eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Gewerbetreibenden bedeuten. Mir geht es um eine gerechte Behandlung aller.

Nicht selten ist organisierte Kriminalität wie Geldwäsche mit im Spiel. Sie setzen hier auf die Taktik der „ständigen Nadelstiche“, die zermürben sollen. Sind da Erfolge zu verzeichnen?

Martin Hikel: Schwere Vorfälle wie der Fund von scharfen Waffen oder der Vollzug von Haftbefehlen kommen inzwischen tatsächlich weniger häufig vor. Das sind Erfolge, weil wir klargemacht haben: Wer kriminell ist, kriegt hier auch Druck. Deshalb ist unsere Strategie so wichtig. Ich wünsche mir übrigens, dass sich die Zivilgesellschaft einbringt und sagt, dass Kriminalität hier nicht mehr zu Hause sein soll. Das kann heißen, dass sich benachbarte Gewerbetreibende, die völlig korrekt arbeiten, mehr einmischen und sagen: „Ich habe keine Lust auf das, was mein Nachbar macht.“ Oder: „Ich will Gäste aus dem kriminellen Milieu nicht mehr bedienen.“

Die Kritik der Linken ist also gegenstandslos?

Martin Hikel: Mehr als das. Sie fordern den Staat auf, die Augen vor Kriminalität zu verschließen, und schieben dabei Rassismus vor. Sie gehen sogar so weit, dass sie rassistischen Terror wie den in Hanau mit Verbundeinsätzen in Berlin in einen Zusammenhang bringen. Das ist die absolute Relativierung von Rechtsextremismus und völkischer Ideologie und spaltet die demokratische Zivilgesellschaft. Dabei müssen wir doch gegen autoritäre Systeme und Nazis zusammenhalten.

Gibt es auch etwas, worüber Sie sich im Jahre 2021 richtig gefreut haben?

Martin Hikel: Der neue Senat hat in seinem Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Planung für die Verlängerung der U7 von Rudow zum BER voranzutreiben. Das ist ein riesiger Erfolg. Wenn es alle wirklich wollen und die nötigen Planungsverfahren straff abgestimmt und durchgeführt werden, könnten 2030 die ersten Bahnen rollen. Das haben mir Experten von der BVG versichert. Und das ist wirklich eine gute Nachricht.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

25 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 101× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 541× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 504× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 457× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 480× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.