„Strukturelle Gewalt hat lange Tradition“
Annemarie Schoß, Leiterin der Städtegruppe von Terre des Femmes, über die Situation der Frauen in Berlin

Aktionen gegen Prostitution sind ein Schwerpunkt von Terre des Femmes. | Foto: privat
5Bilder
  • Aktionen gegen Prostitution sind ein Schwerpunkt von Terre des Femmes.
  • Foto: privat
  • hochgeladen von Michael Vogt

Viele Organisationen weltweit haben sich den Kampf um die Gleichberechtigung und die Menschenrechte von Frauen auf ihre Fahnen geschrieben. Berliner-Woche-Reporter Michael Vogt sprach mit Annemarie Schoß, der Leiterin der Städtegruppe Berlin von Terre des Femmes, über die Situation der Frauen in Berlin.

Die Benachteiligung und die Verletzung der Menschenrechte von Frauen scheint auf den ersten Blick weit weg zu sein, wird oft eher in Ländern der sogenannten Dritten Welt verortet. Wie schätzen Sie diesbezüglich die Lage in Deutschland, speziell in Berlin ein?

Annemarie Schoß: Die Realität in Deutschland und vor allem in Berlin sieht tatsächlich anders aus. Unsere Erfahrung zeigt, dass in der Stadt viele Arten von Ungleichheit und Diskriminierung, Unterdrückung und körperlicher Gewalt gegenüber Frauen existieren. Das reicht von Gewalt im Namen der sogenannten Ehre über Zwangsheirat bis hin zu Fällen weiblicher Genitalverstümmelung. Die strukturelle Abwertung der Frau ist nicht immer nur importiert. Häusliche sexualisierte Gewalt, Frauenhandel und Prostitution oder frauenfeindliche Werbung haben auch hierzulande eine lange Tradition.

Annemarie Schoß leitet die Berliner Städtegruppe von Terre des Femmes. | Foto: privat
  • Annemarie Schoß leitet die Berliner Städtegruppe von Terre des Femmes.
  • Foto: privat
  • hochgeladen von Michael Vogt

Wie begegnen Sie diesen Problemen, wie sieht Ihre tägliche Arbeit in der Berliner Städtegruppe aus?

Annemarie Schoß: Es bedarf zu allen Themen zunächst einer stetigen und hartnäckigen Aufklärungsarbeit. Die Bevölkerung und vor allem die politischen Entscheidungsträger müssen mitbekommen, dass es um weibliche Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Freiheit in einigen Bereichen dieser Stadt noch lange nicht zum Besten steht.

Haben Sie ein Beispiel für eine solche problematische Lebenswirklichkeit?

Annemarie Schoß: Ich bin von Hause aus Soziologin und über das Thema Prostitution auf Terre des Femmes aufmerksam geworden. Der Verein hat eine klare Haltung dazu, die sich stark am sogenannten Nordischen Modell orientiert. Das stellt – anstatt die Prostitution zu bagatellisieren und Prostituierte zu kriminalisieren – deren Hilfsbedürftigkeit in den Fokus. Die Polizei übt besonders Druck auf die Freier aus, während Sozialarbeiter die Prostituierten beim teils überaus schwierigen Ausstieg aus dem Milieu unterstützen. Wir kämpfen dafür, dass sich dieses Modell auch in Deutschland durchsetzt, wo Prostitution allzu oft leider noch als ein Job wie jeder andere gesehen wird.

Können Sie in diesem Kampf Erfolge benennen?

Annemarie Schoß: Wir haben zum Beispiel im vergangenen Jahr eine Aktion gegen ein geplantes Bordell in Charlottenburg gestartet, für das bereits die Baugenehmigung erteilt wurde. Durch unsere Briefverteilaktion vor Ort sind viele Anwohner erst auf die Situation aufmerksam geworden. Dabei hat sich gezeigt, dass sie es gar nicht so normal finden, wenn sich Prostitution plötzlich vor ihrer eigenen Haustür abspielen würde. Die Baugenehmigung besteht zwar nach wie vor, aber wir haben in der Sache sehr viel positives Feedback und Unterstützung bekommen.

Auch während der Pandemie zeigt die Städtegruppe Präsenz in einer Berliner Fußgängerzone. | Foto: privat
  • Auch während der Pandemie zeigt die Städtegruppe Präsenz in einer Berliner Fußgängerzone.
  • Foto: privat
  • hochgeladen von Michael Vogt

Wie steht es um Ihre geplanten Aktionen in Hinblick auf die derzeit schwierige Pandemiesituation?

Annemarie Schoß: Auch in der Pandemie gehen wir, natürlich unter Einhaltung aller Regeln, auf verschiedenste Arten an die Öffentlichkeit. So veranstalteten wir am Internationalen Frauentag eine Mahnwache am Brandenburger Tor, um auf die Situation von prostituierten Frauen aufmerksam zu machen. Ähnliches ist am Internationalen Tag gegen Prostitution (5. Oktober) und am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen (25. November) fest eingeplant. Zudem nutzen unsere Arbeitsgruppen verstärkt das Internet und die sozialen Medien. Derzeit bauen wir einen Youtube-Kanal zum Thema Pornographie auf, um besonders Jugendliche für die Problematik zu sensibilisieren. Was macht es mit dem Frauenbild, wenn selbst Kinder heute über das Internet kaum kontrollierbare Zugangsmöglichkeiten zu frauenfeindlichen pornographischen Inhalten haben?

In welchen Kooperationen und Netzwerken ist die Städtegruppe noch aktiv?

Annemarie Schoß: Bundesweit ist unser Verein sehr gut vernetzt, lokal arbeiten wir seit Jahren erfolgreich mit den Sisters Berlin zusammen. Darüber hinaus suchen wir immer nach Kooperationspartnern und neuen Ideen. Hier ist stets Flexibilität und Kreativität gefragt. Aktuell gründen wir einen „Aktionskreis Berlin Pro Nordisches Modell“, um uns mit anderen Berliner Vereinen zusammenzuschließen. Denn gemeinsam sind wir stärker. Auch haben wir die BVG und den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg angeschrieben, um mit ihnen die zunehmende Belästigung von Frauen in Verkehrsmitteln anzugehen.

Autor:

Michael Vogt aus Prenzlauer Berg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

5 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 776× gelesen
WirtschaftAnzeige
JRB DER HEIMWERKER hat alles, was Ihr Weihnachtsfest schöner macht. | Foto: JRB DER HEIMWERKER

JRB DER HEIMWERKER
Alles für Advent und Weihnachten

JRB DER HEIMWERKER hat ein stimmungsvolles und umfangreiches Angebot im Weihnachtsmarkt für Sie, liebe Kunden, zusammengestellt. Im EG. und 1. OG, das Sie bequem mit Rolltreppe oder Aufzug erreichen können, erwartet Sie eine große Auswahl an Weihnachtsdekoration. Christbaumkugeln und Spitzen in vielen Farben und Formen sowie viele Deko-Artikel, Figuren sind in großer Auswahl vorhanden. Das wichtigste ist ein guter Weihnachtsbaumständer und natürlich die Beleuchtung. Wir führen Lichterketten,...

  • Köpenick
  • 27.11.24
  • 784× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 475× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 42.500 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade und Mariendorf. Damit können weitere rund 42.500 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt zwei Millionen Anschlüsse in Berlin zu ermöglichen. Schnell sein...

  • Frohnau
  • 11.12.24
  • 926× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.861× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.