Eltern im Hochhauskiez beklagen Medizinermangel
Zum Kinderarzt mal eben nach Marzahn

In Neu-Hohenschönhausen mehren sich die Klagen von Eltern über den Mangel an Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin. | Foto: Berit Müller
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Im Dezember 2008 lebten in Lichtenberg 31.358 Kinder und Jugendliche im Alter unter 18 Jahren, Ende 2017 waren es bereits 45.589. Dass die medizinische Versorgung für den Nachwuchs nicht mitgewachsen ist, bekommen vor allem Familien in Neu-Hohenschönhausen, Falken- und Wartenberg zu spüren. Der CDU-Abgeordnete Danny Freymark hört in seinem Bürgerbüro im Warnitzer Bogen immer häufiger Klagen über fehlende Kinderärzte.

Das Thema Ärztemangel ist weder ein neues, noch ein Lichtenberger Phänomen. Eine gemeinsam mit dem Bezirk Neukölln in Auftrag gegebene Studie hatte bereits im Sommer 2017 anhand aktueller Daten belegt: Beide Bezirke sind unzureichend mit Arztpraxen versorgt. Schon damals hatte sich auch Kinder- und Jugendarzt Dr. Steffen Lüder vom Prerower Platz zu Wort gemeldet und berichtet, wie prekär die Lage im Neu-Hohenschönhausener Kiez sei. Er sprach von „Medizin im Fünf-Minuten-Takt“, weil im Hochhausviertel immer mehr Heranwachsende leben, während die Zahl der Kinderärzte sogar gesunken sei.

Inzwischen hat sich die Situation im Lichtenberger Norden noch zugespitzt. Drei Kinderärzte sind im Juli dieses Jahres von Hohenschönhausen nach Marzahn umgezogen. Sie fehlen so sehr, dass Eltern mit ihrem kranken Nachwuchs bis zu 30 Minuten Fahrtzeit in Kauf nehmen, um mit Bus oder Bahn in den Nachbarbezirk zu gelangen. „Das kann angesichts so ansteckender Krankheiten wie Mumps oder Masern keine Lösung sein“, sagt Freymark. „Hinzu kommt, dass gleich mehrere der verbliebenen Kinderärzte kurz vor der Rente stehen und gar nicht wagen, den verdienten Ruhestand anzutreten - weil kein Ersatz in Sicht ist.“

Schlecht verteilt

Der Unionspolitiker hat sich mit je einem Brief an die Gesundheitsdezernenten auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene gewandt, um die Notlage zu verdeutlichen. An die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung richtete er zudem eine schriftliche Anfrage mit der Bitte um Informationen zu Kinderzahlen und den pädiatrischen Praxen in den Bezirken.

Die Zahlen überraschen zunächst. So hat Lichtenberg, wenn es um Kinderärzte geht, statistisch einen Versorgungsgrad von circa 108 Prozent – auch nach dem Weggang der drei Neu-Hohenschönhausener Kollegen. Zum Vergleich: In Charlottenburg-Wilmersdorf lag die Quote Ende 2017 zwar bei gut 170 Prozent, in Treptow-Köpenick aber nur bei knapp 95.

„Der Versorgungsgrad ist offensichtlich nicht aussagekräftig“, lautet Freymarks Kommentar. „Schließlich müssen wir enorme Bedarfe für Lichtenberg feststellen.“ Möglicherweise ergebe sich die Diskrepanz, weil die Statistik auch Ärzte mitzähle, die keine Vollversorgung anbieten oder als Allgemeinmediziner weitaus mehr Erwachsene als Kinder behandeln.

Strukturelles Problem

Der CDU-Abgeordnete moniert ein strukturelles Problem, auf das auch Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) und Lichtenbergs Gesundheitsstadträtin Katrin Framke (für Die Linke) in ihren schriftlichen Antworten verweisen: Bundesweit regelt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Versorgung mit ambulant praktizierenden Medizinern. Sie lässt erstens nur eine gewisse Anzahl zu, zweitens fasst die KV die Hauptstadt als eine Planungsregion zusammen. Gesamtstädtisch betrachtet kann also eine hohe Arztdichte in einem Bezirk die dürftige in einem anderen kompensieren. Weder Sozialstruktur noch demografische Entwicklungen werden berücksichtigt.

Außerdem lege die Bedarfsplanung der KV veraltete Zahlen zugrunde, schreibt Katrin Framke. Und obwohl die Vereinigung das Versorgungsproblem mittlerweile erkannt habe, sei die Berechnungsgrundlage noch nicht geändert worden. „Sie können davon ausgehen, dass ich weiterhin die KV und die Senatsverwaltung auf die unhaltbare Situation hinweisen und an ihren ärztlichen Sicherstellungsauftrag erinnern werde“, so Framke. Immerhin plane die KV, die Zulassungssperre für Hausärzte in Berlin aufzuheben, wovon Lichtenberg sicherlich profitiere – allerdings gelte dies nicht für Kinderfachärzte.

Andernorts noch dramatischer

Auch Senatorin Kolat und die Senatsverwaltung für Gesundheit führen in ihren Schreiben das Problem der Bedarfsplanung an. Im Rahmen der Honorarverhandlungen 2017/18 zwischen KV und den Krankenkassenverbänden seien aber acht Versorgungsaufträge für Kinderärzte sowie zwei für Kinder- und Jugendpsychiater als Sonderbedarfszulassungen vergeben worden, und zwar gezielt in die Bezirke mit der schlechtesten Ausstattung. Dadurch sei nun für alle Bezirke eine Quote von mindestens 100 Prozent erreicht. Lichtenberg wurde dabei aufgrund des vergleichsweise „hohen“ Versorgungsgrades nicht berücksichtigt.

Mit Blick auf die Hohenschönhausener Kinderärzte im Seniorenalter schreibt die Gesundheitssenatorin: „Die KV hat auf Nachfrage zugesichert, aus Altersgründen frei werdende Arztsitze zügig neu zu besetzen.“ Bedingung dafür wäre, dass die Anträge auf Nachbesetzung beizeiten gestellt würden. Nicht zuletzt nennt Dilek Kolat den Entwurf für ein bundesweites Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom Juli dieses Jahres eine Perspektive, die auch Berlin zugutekommen dürfte. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht der TSVG-Entwurf Maßnahmen vor, um die Bedarfsplanung zu verbessern und beinhaltet zudem neue Möglichkeiten, in zulassungsbeschränkten Planungsbereichen dennoch Arztsitze – also auch für Kinderärzte – zu schaffen.

Danny Freymark hat die Antwortschreiben erst einmal zur Kenntnis genommen. Er will demnächst weitere Gespräche führen. „Auch wenn sich das angesichts der gesetzlich geregelten Bedarfsplanung für Berlin schwierig gestaltet – der Versorgungsgrad wird offenbar schön gerechnet, denn die Realitäten zeigen, dass wir dringend mehr Kinderärzte benötigen.“

Autor:

Berit Müller aus Lichtenberg

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